Die
Luft, die ihm entgegenschlug, war kalt. Er sah sich um. Im
Dämmerlicht, das durch das Fenster über dem Schreibtisch
hereinfiel, der an der linken Schmalseite des engen Raumes stand,
konnte er erkennen, dass sich nicht viel verändert hatte. Ganz wie
erwartet. Noch immer lag ein altes Notizbuch auf dem Schreibtisch.
Eine Kerze stand daneben, natürlich nicht entzündet. Neben dem
Schreibtisch gab es nur zwei Möbelstücke in dem kleinen Raum. Ein
wackliger Stuhl stand vor dem Schreibtisch. Auf der anderen Seite
stand ein Bett. Und auf dem Bett saß ein Mann. Mit starrem Blick
musterte er Aaron. Aus dem Fenster über seinem Kopf stäubte Schnee
über ihn und den Fußboden, wo er eine feine, weiße Schicht
bildete.
„Mist“
entfuhr es Aaron. Mit eiligen Schritten ging er hinüber und schloss
das Fenster.
Dann
betrachtete er den Mann auf dem Bett.
Seine Wangen waren eingefallen, sein Gesicht bleich. Der dunkle
Spitzbart war vereist, ebenso der Schnurrbart. Hatte es von der Tür
aus noch so gewirkt, als betrachte er jeden Neuankömmling mit
leichtem Erschrecken, so konnte man von Nahem erkennen, dass die
gebrochenen Augen gar nichts fixierten. Der Mann war tot. Seine
Hände, die kraftlos in seinem Schoß lagen, waren dunkel von etwas,
das wohl sein Blut war, auch wenn man es nicht mehr auf den ersten
Blick erkannte. Aaron wusste genau, dass diese Hände versucht
hatten, die Wunde zu schließen, die sich im Bauch des Mannes
aufgetan hatte, die Schusswunde, die ihn letztlich das Leben gekostet
hatte, doch die Wunde war nicht mehr zu sehen, versteckt unter
hereingewehtem Schnee, und auch der Schütze war längst
verschwunden.
Aaron
schauderte. Oft hatte er in den letzten Tagen daran gedacht,
hinüberzugehen und diese Augen zu schließen, die ihn nun so
vorwurfsvoll anstarrten. Nie hatte er es jedoch über sich gebracht,
den toten Körper noch einmal zu berühren. Den Toten, der einst sein
Bruder gewesen war. Auch jetzt gelang es ihm nicht, seine Scheu zu
überwinden. Hastig tastete er mit den Händen die Seite des Körpers
ab, fand in einer Tasche den Kompass und am Gürtel das Messer. Er
nahm beides an sich. Dann sah er in das tote Gesicht. Wie hatte es
dazu kommen können? Was war der Grund dafür, dass er nun keinen
Bruder mehr hatte, dass er allein am Ende der Welt in einem von
Schneestürmen umtosten Blockhaus saß und sich darauf vorbereitete,
sehenden Auges in sein eigenes Verderben zu rennen?
Da
war diese Frau gewesen. Ob sie das hier geplant hatte? Hatte sie Erik
umbringen wollen? Dabei hatten doch alle, er selbst, Aaron,
inbegriffen, ihr geglaubt. Fast ein Jahr war sie schon mit Erik
zusammen gewesen... Alles nur gespielt? Über einen so langen
Zeitraum? Warum? Es hätte doch leichter, so viel leichter sein
können.
Nein,
als sie ihn gebeten hatte, mit ihr auf diese Reise zu gehen, hatte
sie etwas anderes im Sinn gehabt. Er hatte nicht sterben sollen,
etwas war schief gelaufen. Aber was? Aaron konnte es sich nicht
erklären. Genausowenig, wie er sich einen Reim auf all die anderen
Dinge machen konnte, die in letzter Zeit passiert waren.
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