MVJstories

MVJstories ist ein Blog, auf dem eine kleine Gruppe junger Schriftsteller Auszüge aus ihren Werken veröffentlicht. Feedback ist ausdrücklich erwünscht. Und nun viel Spaß beim lesen!

Montag, 16. Dezember 2013

Banana-Rama-Baby



Von Mr.Big

 „Scheiße, man, dass kann doch einfach nicht wahr sein!“, schreie ich in mein Mobiltelefon, während meine Handfläche auf den Tisch saust und das halbe Gedeck von der Platte fegt. Schon wieder eine Kündigung wegen ungebührenden Verhaltens gegenüber einem Klienten. Ich kann nun mal kein Arschloch vertreten. Klar hätte ich ihm das, als sein Anwalt, nicht gleich ins Gesicht sagen müssen, aber so bin ich nun mal. Sehr direkt. 

Jetzt knalle ich mein Handy auf den Tisch, um meinen Gedanken Nachdruck zu verleihen. „Ich hab da echt keinen Bock mehr drauf, hörst du“, schreie ich der Sekretärin der Kanzlei entgegen. Gut, dass ich ein Organ wie eine Sirene habe. Der Mann gegenüber guckt mich an, als wäre ich sonst wer. Dabei kennt er mich überhaupt nicht. Er sieht aus wie das Alien aus Independence Day. Oder das Alien aus Alien. 

„Ey kannst du mal diesen Fettfleck aus meiner Sicht bewegen, Kollege?“ Ungefragt schiebe ich das Ding, was er Sohn nennt und mir die Sicht aufs Café versperrt, zur Seite. „Warum muss es auch immer chinesisches Essen sein“, rufe ich und schmeiße mit gehörig Schmackes seinen Teller samt Belag zu Boden. Sushi sei immer noch japanisch sagt der Dämlack kleinlaut neben mir. Das wollte der jetzt wohl unbedingt loswerden, jetzt wo ich so richtig in Rage verfalle. Zu mehr kommt er nicht, ich schneide ihm das Wort ab. Denn ich gebe mich nicht mit Kleinigkeiten zufrieden. „ Freiheit für die Wale!“, rufe ich, „Pinguine an die Macht!“ Eine Faust gen Himmel gewandt, das Paar Füße, das ich habe, zu Boden. Meine freie Hand formt das Metalzeichen. Es lebe die Revolution.

Die anderen Gäste gucken mich an, als ob ich ein Clown wäre und mein Gesicht ein Daumenkino. Man Leute, ich braucht nun mal zwei Hände, um mich lesen zu können, versteht ihr’s endlich?  „Diesen eingerollten Dünnpfiff kannst du vielleicht deiner Ehefrau servieren, aber nicht mir“, gröle ich nun auf Mandarin den herbeigeilten Kellner an. Warum ich Mandarin kann? Hab ich auf Youtube gelernt, du Pilot!  Außerdem wird es von einem Siebentel der Menschheit gesprochen. Bäm!

Zurück zu diesem Typen. Dieser kleine zugekokste Zahnbelag von Mensch. Ein richtiger Homunkulus. Jetzt auch rezeptfrei in ihrer Apotheke. Flaumt der wirklich herum und spuckt Galle nach mir. Dabei hab ich ihm noch gar nichts getan. Bei Samsung sei er ein großes Tier, flüstert er, außerdem Gehirnchirurg. Er arbeitet hier nur, weil er sein eigener Herr sein will und müsse sich das hier nicht bieten lassen. Ich lasse ihn wissen, dass mir Sony eh viel lieber ist und er eilt beleidigt zur Theke zurück.

Ich bleibe. Stehend. Wütend. Wartend.

Die Mitesser um mich herum mustern mich misstrauisch. Doch das kann mir gar nichts. 

Ich mache mir ein Reisbier auf. Zisch. Klack. Gluck, gluck, gluck. Ah.

Etwas verändert sich.

Jetzt vibriert mein ganzer Körper. Ich male einen Schneeengel in die Luft. Falls ihr denkt, das ist Gymnastik, dann habt ihr falsch gedacht. „In diesem Saftladen kümmert sich aber auch niemand um seine wildgewordene Kundschaft.“ Mir wird langweilig, also beginne ich mit Fischmessern nach Omis zu werfen. Ein besonders schönes Exemplar der Gattung Homo sapiens-Knitterfalte läuft gerade mit einem Rollator an mir vorbei und zeigt mir anschließend den Stinkefinger. Respekt, die Frau hat Schneid. Im nächsten Moment kriegt sie einen Löffel ins Gesicht. Warum? Ich bin halt ein lieber Kerl.

Trotzdem schimpfe ich weiter in perfekt akzentuiertem Mandarin auf alles um mich herum ein. Da eilt aus dem Innern des Restaurants auch schon der Endgegner herbei. Ein dicker Sumoringer kommt  auf mich zu. Weiße Haut, schwarzer Umhang. Wahrscheinlich verwendet er die Harakiri-Tsunami-Technik. Tod durch Schwitzen. Wenn ich ihn mir so anschaue, dann denke ich nur: Da kommen 1000 Kilo purer Frust.

Ich reiß‘ mir die Hose vom Leib. So macht man das beim Showdown in den Filmen oder nicht?  Auf dem Flatscreen an der Bar singt Kim Jong-un  „What does the fox say“, während im Hintergrund mit einem „Hatee-hatee-hatee-ho“ Raketen starten. Hat’s der kleine Wichser also doch noch getan. Naja, um den kümmere ich mich noch später.

Ich wende mich der Sumorolle zu. Mr. Lover-Lover holt ein Samuraischwert aus seinem Tanga raus und schneidet sich damit durch meinen Tisch wie durch Butter. Ich falle zu Boden und knackse mir den kleinen Finger. Hätte ich mal nicht das Metalzeichen gemacht, verfluchte Scheiße.

Ich vollführe einen doppelten Rittberger und lande schließlich auf dem Bauch. 10 Punkte-Landung. Nun bin ich der Fisch im Wasser. Und du bist meine Bärbel. Ablenkungsmanöver! Ich packe das fette Kind von vorhin und schmeiß es ihm ins Gesicht. Doch es hält ihn nicht auf. Grunzend packt er es, beißt ihm ein Ohr ab und schmeißt es zur Seite. Mike Tyson-Style. Ich beginne Anerkennung für ihn zu empfinden. 

Tja, was bleibt dir übrig in so einer Situation? Job kaputt, Teller kaputt, Tisch kaputt, Kind kaputt. Warte, mein Sitzkumpel ist noch ganz. Dieses kleine Drecksgesicht. 

An dieser Stelle möchte ich klarstellen, ich habe eigentlich nix gegen ihn. Aber kennste einen, kennste alle. Typisch Bielefelder eben. Die sind so echt, die gibt’s gar nicht. Und das regt mich auf. Außerdem hat(te) er ein nerviges Kind. Ich haue ihn mit Karacho eins in die Fresse, sodass seine Atzenbrille in weitem Bogen auf den Bordstein fliegt. Sie liegt da recht bequem neben den Resten des Tisches. 

Ich hoffe ihr habt bis jetzt jedweden Subtext mitgekriegt. Naja wenn nicht, jetzt ist es eh schon zu spät. Ich greife nach der Obstschale und werfe dem Samsungkellner hinter der Theke eine penisförmige Südfrucht ins Auge, während ich „Banana-Rama-Baby“ rufe. Soll der ja auch sein Fett wegkriegen! Dem 1000 Kilo Sushi-Samurai trete ich einfach nur in die Weichteile. Wie gesagt, ich bin eigentlich ein netter Kerl und will ihm ja nicht ernsthaft wehtun. Das Schwert nehme ich aber trotzdem als Andenken mit, meine Brotmesser sind etwas stumpf in letzter Zeit. Das Ohrläppchen des Jungen lass ich natürlich liegen, das wär ja pietätlos. Zum Abschluss frage ich Freund Sumo noch, ob er mich bei Facebook adden will. Er sagt irgendwas über Hunde und meine Vorfahren. Wenn sein Skrotum schmerzt, hat er wohl keinen Sinn für Humor.

Als ich nach Hause komme, lege ich das Samuraischwert in die Spüle und gehe ins Wohnzimmer zu meiner Freundin. „Du wirst nicht glauben, was mir heute im Cafe passiert ist“, setze ich an. Sie sitzt auf der Couch und dreht sich lustvoll stöhnend zu mir um. Da merke ich, dass sie einen Elektroschocker in der Hand hält und auf meine Kronjuwelen zeigt. „Du weißt, was dich erwartet, Cowboy.“ Mein Colt sitzt immer locker und sie weiß das. Also schwing ich das Lasso. Warum liegt da eigentlich Stroh? Und wieso habe ich eine Maske auf? Egal, manche Dinge sollte man nicht hinterfragen, weil sie Kunst sind. Und Kunst braucht keine Erklärung. Mit diesen Worten. Gute Nacht.

Dienstag, 10. Dezember 2013

Getäuscht


Er stand vor der bekannten Tür, ungläubig, dass er hier war und dass er tatsächlich die Klingel betätigen wird.
Er wusste, dass sie sich dahinter befand, denn er hatte es alles sorgfältig überprüft. Er hatte alles getan, um ganz sicher sein zu können, dass er nicht plötzlich vor der falschen Frau stand.
Er musste schmunzeln, dachte an den Überwachungsskandal, der damals in aller Munde war. Hätte er einfach die Geheimdienste angerufen, hätte er sie schneller gefunden. Doch das war jetzt unwichtig. Er hatte sie gefunden. Sie trug einen anderen Namen, hatte geheiratet, zwei Kinder. Ob sie ihnen von ihm erzählt hat? Aber was sollte sie gesagt haben?
Vor 32 Jahren, war er plötzlich verschwunden. Weg! Er war in den Urlaub gefahren, in die Schweiz, hatte sich zuvor noch einige Adressen mitgeben lassen. Für Postkarten, wie er damals gesagt hatte. Doch es kamen keine Postkarten. Er hatte es alles geplant, hatte gespart und recherchiert. Hatte über Jahre den Plan geschmiedet, nun würde er ihn aufgeben.
Er hatte sich damals geschworen, niemals zurück zu kehren, hatte sich selbst umgebracht. Hatte Georg Strömer umgebracht. Hatte ihn in die Schweiz geschickt. Dort war aktive Sterbehilfe legal. Er hatte dafür gesorgt, dass seine Verwandten einen Brief bekamen, in dem stand, warum er dies tat, dass er es nicht mehr aushielt, dass ihm alles zu viel war. Die Falschheit der Welt, der Menschen, aller Menschen. Er hatte sogar eine Urne mit Asche zu dem Haus schicken lassen, in dem er aufgewachsen war. Er hatte Georg Strömer umgebracht und Gregor Schmidt ins Leben gerufen, hatte viel Geld bezahlt und Kontakte spielen lassen. Immer mit bedacht darauf, dass möglichst wenige davon mitbekamen. Dann war Georg weg und Gregor ging nach Australien, Amerika, Irland, führte seinen Plan aus.
Wie oft er schon in dieser Stadt gewesen war, ohne dass es jemand mitbekam. Sein Gesicht hing überall. Plakate, darunter ein Datum, ein Ort, ein Ticketpreis. Nicht selten waren die Plakate überklebt: Ausverkauft. So oft war er hier, so oft hatte sie seine Musik im Radio gehört, bestimmt. Ob sie gemerkt hatte, dass er es war? Ob sie an ihn gedacht hatte? Hatte sie vielleicht sogar eine seiner CD' s in ihrem Regal zu stehen?
Er betätigte die Klingel. Nach einer Weile, öffnete sich die Tür und da stand sie. „Hallo Schwesterherz...“

Lüge! Er ist nicht da, war nie wieder dort, war abgehauen. Gregor Schmidt, war in Australien, Amerika, Irland, hatte Musik gemacht, hatte es nicht geschafft. Hatte all sein Geld verloren, sein Ziel aus den Augen verloren, war verzweifelt. Er wollte zurück doch er wusste, dass er ihnen nie wieder in die Augen schauen könnte. Er hatte sie alle getäuscht, enttäuscht. Er hatte versucht etwas aus sich zu machen, hatte angefangen zu arbeiten, trug Zeitungen aus, half auf Baustellen, ging auf Hochsehfischer, schließlich auf einen Walfänger. Geld hatte man ihm versprochen. Und nun, war er hier. Im ewigen Eis. Er wollte sie besuchen, doch diese Möglichkeit würde er wohl niemals wieder bekommen. Wie oft hatte er sich vorgestellt, wie es wäre, wenn er zurück kehren würde. Doch er war hier, gefangen. Das Schiff, eingefroren. Die Maschinen, ausgefallen. Die Mannschaft, ein Großteil an Board bereits gestorben, bereits vor dem Crash. Der andere Teil, hatte ihm vertraut. Drei waren mit einem Beiboot weggefahren, auf seinen Befehl, um Hilfe zu holen. Doch sie kamen nicht wieder, waren vermutlich auch schon tot. Er wartete trotzdem auf die Hilfe, inmitten seiner toten Kameraden, dachte er an die, die er verlassen hatte. Er hatte Georg Strömer getötet, nun kam es zurück. Nun starb er, Gregor Schmidt. Und Georg Strömer, der noch tief in ihm steckte, starb endgültig. Und die Wahrheit über ihn, über seinen Plan, über seinen Misserfolg. In der Ferne, ein Licht. Es ist weit weg, kam jedoch näher. Doch er, Georg Strömer auch bekannt als Gregor Schmidt, würde es nicht mehr das Land erreichen sehen.


Victor Ian Clockwork
10.12.13

Sonntag, 1. Dezember 2013

Was bisher geschah

Die Trilogie: Was bisher geschah, ist wohl eine der ältesten, die je vom Planeten Renai hervor gingen. Zugegeben, es ist die einzige Trilogie und es sind die einzigen drei Bücher vom Planeten Renai. Hinzu kommt, dass die Bücher weder in der heimischen Sprache verfasst sind noch die irdischen Lettern verwendet worden. Vermutlich hängt dies damit zusammen, dass die renaianischen Lettern so geheim sind, dass sie nie geschrieben werden. Sie werden von Generation zu Generation weiter vererbt durch sozusagen Mundpropaganda. Da nun die Lettern nicht verwendet werden durften und sich die renaianische Sprache schwer in den anderer Völker ausdrücken lässt, hat der Autor der Trilogie eine andere, tote Sprache und Schrift gewählt. Es handelt sich um Sprache und Schrift des Planeten Erde, die erst im 37 Jahrhundert vereinheitlicht wurden.
Nun stellt sich die Frage, wie kommt ein Schriftsteller aus dem 21 Jahrhundert an Bücher, die erst tausende Jahre später geschrieben werden? Nun, auch dazu steht etwas in der Trilogie.
Ich schweife ab. Es soll hier ja nicht ausschließlich um die Herkunft des Buches, sondern um das Buch selber gehen und eventuell auch um ein paar Geschichten, die mir dazu einfallen.
Ich bereits den ersten Band verschlungen und möchte nun kurz sagen worum es geht: In erster Linie handelt das Buch von der Entstehung des Universums und vor allem des Planeten Renai und von der Entwicklung des Volkes, den Renaianer. Wir erinnern uns, die Geschichte heißt Was bisher geschah.
Die Entstehungsgeschichten lasse ich vorerst weg. Bei dem derzeitigen Wissensstand, könnte ich so einen Krieg zwischen irdischer Religion und Wissenschaft und der renaianischen Kultur auslösen. Wieso stellen alle immer nur Vermutungen an und kämpfen dann darum wer recht hat? Im weiten Universum gibt es nur ein Volk, dass die Richtigkeit belegen könnte und von dem sind wir zu weit entfernt.
Reden wir nun aber über die Renaianer. Sie sind klein, ziemlich dick und ähneln einer Mischung aus Biebern und PET-Flaschen. Das ist mein ernst!
Die Renaianer sind ein eher friedliches und Naturverbundenes Volk. Sie bauen keine Häuser sondern pflanzen sie. Ebenso ihre Raumschiffe: Aus riesigen Felsen gehauen und durch das Prinzip der Dampfmaschine angetrieben. Allerdings unterscheidet sich die renaianische Technik in einem Punkt von der, der Victorianer. Während die Victorianer, ähnlich wie auf der Erde, Öfen nutzen in denen Mineralien verbrannt werden, nutzen die Renaianer die Hitze vieler kleiner Sonnen, die fest im Schiff installiert sind. Das spart unmengen an Mineralien und Arbeit.
Auf die Schrift der Renaianer bin ich ja bereits kurz eingegangen. Nun zur Sprache: Die Renaianer haben eine Sprache, die vorwärts wie rückwärts gleich klingt. Allerdings nicht nur so, dass die Wörter sich beliebig umdrehen lassen, sondern selbst Sätze und Satzaneinanderreihungen, sind vorwärts wie rückwärts gleich. Der interessante Punkt hier ist, das die Sprache ausschließlich rückwärts gesprochen wird. Ich muss gestehen, dass ich die Sprache des 37. Jahrhunderts nicht unbedingt beherrsche, doch ich habe diese Stelle im Buch mehrmals gelesen und überprüft. Es scheint richtig zu sein auch wenn es seltsam klingt.
Die Renaianer sind allerdings nicht das einzige außerirdische Volk. Im nächsten Beitrag werde ich dann über die Victorianer schreiben. Bis dahin, gehabt euch wohl.



Victor Ian Clockwork
01.12.13

Montag, 25. November 2013

Wenn der Würfel fällt - Teil III




Von Mr.Big



3 Stunden zuvor

Auf dem Revier hat Inspektor Jim Kramer von alldem nichts mitbekommen. Er sitzt in seinem Stuhl, die Füße auf dem Tisch und die aufgeschlagene Akten auf dem Schoß. Alles wuselt in der Abteilung vor sich hin, im üblichen Trott, ohne nennenswerte Auffälligkeiten. Irgendwo klingelt ein Telefon. Er überlegt kurz den Hörer abzunehmen, besinnt sich dann aber wieder auf seine eigentliche Aufgabe zurück und überlässt den Job einem Kollegen. Wo zum Teufel ist eigentlich Volitar, fragt er sich. Sie sollte schon längst mit den Beweismitteln zurücksein. Eine Anordnung vom Obersten Richter. Erneute Kontrolle der Gegenstände, die der Angeklagte bei sich getragen hat. Na, wenn es denn sein muss.

Jim beginnt zu lesen. 

Der Angeklagte ist als notorischer Falschspieler bekannt …blablabla…Anklageschrift: Totschlag…blablabla….wird vorgeworfen, wahrscheinlich im Affekt gehandelt zu haben…blablabla…Opfer ist Kasinobesitzer Herr….blablabla (wie uninteressant)…Angeklagter beschreibt sich selbst als unschuldig…blablabla…höhere Macht steuerte ihn...…warte, was zum Teufel?

Jim stutzt. Was er da liest ergibt keinen Sinn.

Der Angeklagte gab zum Protokoll, dass er unschuldig sei, weil er von einer höheren Macht zu der Tat gedrängt wurde. Er sagte, vor der vermeintlichen Tat mehrfach am gleichen Seven Eleven – Tisch große Summen gewonnen zu haben.  Nach Zeugenaussagen kam der Kasinobesitzer höchstpersönlich zu ihm und stellte ihn zu Rede, wahrscheinlich, weil er misstrauisch geworden war. Beweismittel W1 und W2 haben ihn daraufhin, nach seinen Worten, „gezwungen, diesen Dreckskerl zu erledigen“. 

„Das nächste Mal bist du mit Suchen dran“. Clair Volitar erscheint und schaut ziemlich verärgert drein. Sie knallt einen Umschlag auf den Tisch.

Jim blickt zu ihr auf.

„Das wurde ja auch Zeit. Warum hat das denn so lange gedauert?“, fragt er spitz.

„Hatte ein Kollege wohl versehentlich ausgeliehen. Lag in der falschen Abteilung.“

Er greift sich den Umschlag und öffnet ihn. Die Versiegelung ist bereits durchbrochen. 

„Warum sollen wir nochmal erneut die Sachen von dem Typen durchwühlen?“, fragt Claire.

„Weil der Richter sich nochmal die Beweismittel angucken will, die den Typen „gezwungen“ haben sollen. Was für ein Schwachsinn.“ 

Er kippt den Inhalt aus. Auf dem Tisch verteilen sich Pokerchips, ein Paar Asse und zwei Joker. Widerwillig fällt ein weiteres Objekt aus der Öffnung. Blitze zucken auf. Das Ding springt mit unglaublichem Vergnügen auf der Tischplatte herum, bevor es zum Erliegen kommt. 

„Sag mal Claire, weißt du wie die Regeln für Seven-Eleven sind?“

„Klar, ist ein Spiel mit zwei Würfeln. Du brauchst die Summe Sieben oder Elf um zu gewinnen. Ganz einfach.“

Er schaut auf den Würfel vor ihm. Wow, der sieht echt edel aus, denkt sich Jim. Eine smaragdgrüne Fläche, durchbrochen von fünf weißen Punkten. An der Seite des Umschlags ist eine Checkliste aufgeklebt. 

Jim ist irritiert.

„Warte mal, wo ist der zweite Würfel?“  


Jetzt 

Es ist erstaunlich kalt an diesem Abend. Der Herbst hat bereits angefangen, seine Arbeit zu verrichten. Auf den Baumkronen im Park sind kaum noch Blätter zu erkennen.

Wie ist er hierhergekommen? Und wie viel Zeit ist zwischen dem Schuss und jetzt vergangen? Frank weiß es nicht. Es macht auch nichts mehr aus, ihm ist jetzt alles egal. Er fühlt nur noch Leere in sich. Ein tiefes Loch hat alle Emotionen aufgesaugt. Zurück bleibt bedrückende Schwärze, die wie ein Teerfilm auf seiner Seele klebt.

Gefühle sterben, Gedanken leben weiter.

Eingehüllt in einer dicken Winterjacke sitzt er auf der Parkbank. Langsam und zäh beginnen die Gedanken durch seinen Kopf zu fließen.

Wie konnte das nur alles passieren? Dieser Tag schien wie jeder andere. Doch was da passiert ist, hat alles verändert. Jetzt sitze ich hier, mir ist bitter kalt. Ich spüre die Schuld auf meinen Schultern. Sie drückt mich gnadenlos nach unten und zerquetscht mich.
Mein Freund ist tot. Ich habe einen Unbekannten erschossen. Und die Frau? Ich weiß nicht mal, ob sie es geschafft hat…

Das alles ist nur passiert, weil ich bin, wie ich bin. Nie in meinem Leben habe ich Entscheidungen fällen können. Ich bin Polizist geworden, weil ich genau wusste, wie logisch das war. Es ist etwas Gutes, das Gesetz zu hüten. Und sie geben die einen klaren Katalog an Aufgaben und Pflichten, du hast einen Kodex, nach dem du dich richten kannst. Keine Entscheidungen, nur Regeln. Doch was nützt dir dies im Angesicht des Todes? 

Er seufzt. Sein Atem geht langsam und schwer. Die Hände zittern. Ihm ist kalt.

Was habe ich bloß getan? Wieso bin ich so, wie ich bin? Ich dürfte niemals in diese Situation versetzt werden, Leben zu retten! Ich bin kein Retter. Ich bin ein Feigling. Ein Feigling, der sich nicht entscheiden kann. Noch niemals entscheiden konnte. Immer und immer wieder hat mich dieses verdammte Leben dazu gezwungen, Entscheidungen zu treffen. Realschule oder Gymnasium.  Ausbildung oder Studieren. Freundin oder Freiheit. Immer wieder musste ich mich entscheiden und nie habe ich die richtige Entscheidung getroffen.

Das Leben besteht aus so vielen einzelnen Variablen. Zusammengesetzt ergeben sie das Schicksal jenes Einzelnen. Doch wie soll man sich entscheiden, wenn man die Variablen nicht kennt, wenn einem die Gleichung nichts sagt? Wenn darauf nur Buchstaben und Zahlenreihen zu erkennen sind, die Substanz eines Leben, dass man nicht mehr versteht? Warum sitze ich hier? Was hat mich an diesen Ort gebracht? Meine Unfähigkeit, zu rechnen.

Wenn dir jemand im Mathematikunterricht eine Aufgabe gegeben hatte, hieß es immer: Finde die Lösung.  Das war meistens die Essenz des Ganzen. Aber es gibt nicht immer nur einen Weg zum Ziel. Mit mehr Aufwand konnte man manchmal zum selben Ergebnis kommen, von den vorgeschriebenen Pfaden abweichen und sich ein Stück Freiheit im komplizierten System des Lebens erkämpfen.

Doch dann legte jemand fest, dass es auch auf den Lösungsweg Punkte gab. Und von da an brach alles wieder zusammen. Feste Strukturen, keine Unabhängigkeit. Entscheidungen, die jeder für das Leben zu treffen hatte. Diesen oder jenen Job? Welche gottverdammte Versicherung nehme ich denn? Die wollen mich doch alle übers Ohr hauen! Was passiert, wenn der strikte Lösungsweg nicht mehr weiterhilft? Was soll man dann tun?

Das Logischste für mich wäre wohl gewesen, zum Polizeipsychologen zugehen. Geh dahin, rede mit ihm, ja, ja, dann wird alles wieder gut. Nichts wird wieder gut! Ich will nicht mehr an dieser vorgefertigten Lösung mitwirken, ich will ausbrechen aus diesem System. Falsche Variablen, die in Wirklichkeit Konstanten sind. Kann ich mich überhaupt noch entscheiden? Michael ist tot und wird auch für immer tot bleiben. Und Schuld bin ich! Egal was passiert, diese Konstante ist gesetzt und wird mich für immer verfolgen.

Er fühlt, dass er sich an einem Scheideweg in seinem Leben befindet. Der Verstand, der ihm einst so vertraut erschien, zeigt nur Gleichgültigkeit ihm gegenüber. 

Wie soll es nun weitergehen?

Wieder eine Entscheidung, die zu fällen ist.

Oder ist die Entscheidung eher: Soll es für mich weitergehen?

Das Logischste machen? Nie wieder, das Logischste hat mich hierher gebracht!

Wie so oft in seinem Leben, ist ihm alles egal. Was er braucht, ist nicht die erneute Qual, eine Entscheidung zu treffen, sondern eine Entscheidung und zwar sofort.

Frank zittert am ganzen Körper. Wer ist er, dass er über das Leben von drei Menschen entscheiden musste? Einer war ihm sehr nahe gewesen, die anderen Beiden hat er nicht einmal gekannt.

Er fasst an den Halfter. Seine Dienstwaffe sitzt fest und unbeteiligt darin.

Und über das eigene Leben? War man denn der Herr seiner Selbst? Doch was, wenn von dem Selbst nichts mehr übrig bleibt und es eigentlich egal ist, stehen zu bleiben oder weiterzugehen?  Weil der Weg nie enden wird, der schmerzvolle Weg, voll mit Steinen, die einen versuchen zu Fall bringen und so vielen Abzweigungen, die einen in die Irre führen wollen. Was macht es also aus, diese wichtigste Entscheidung jemand anderem zu überlassen? Er könnte genauso das Schicksal befragen, ihm ein Zeichen zu senden. 

In der Schule wäre jetzt Wahrscheinlichkeitsrechnung angesagt. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, jemals wieder ein gutes Leben zu führen? Nach diesem Vorfall? Seien wir nicht so kleinlich. Genauso hoch,  wie nie über das Geschehene hinwegzukommen und ewig als emotionaler Krüppel und Schuldiger zurückzubleiben. Dann kann ich auch gleich aufhören zu leben.

Gleiche Chance für beide Welten. Dazwischen gab es eine Vielzahl von Abzweigungen, Variablen. Aber Scheiß auf die Dinge, die ich eh nie berechnen konnte.

Es ging also um eine simple Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten. 

Leben oder Sterben, hallt es in seinem Kopf.

Er braucht einen Entscheidungsträger. 
 
Franks Blick fällt auf seine linke Hand. Der Würfel ruht seelenruhig darin und strahlt seine magische Aura in das schmerzverzerrte Gesicht. Seine Gedanken beginnen zu rasen.

Der gerade Weg, der einfache Weg, wäre, alles zu beenden. Nie wieder Schuld auf mich laden zu müssen. Nie wieder einen Kollegen im Stich lassen, nur mich selbst. Keine Verantwortung mehr übernehmen und nie wieder dieses falsche Spiel spielen! Der gerade Weg. Eine gerade Zahl.

Der ungerade Weg, der schwere Weg. Das alles irgendwie verarbeiten. Emotionen, wenn sie denn noch in mir schlummern, herausbrechen, herausschreien, sich neu sortieren, Betriebssystem neu aufsetzten, Cache leeren, neustarten. Nur eine kleine Datei in meinem Kopf würde mich für immer daran erinnern, wie mein Leben als entscheidungsunwilliger Idiot gewesen und was dadurch passiert ist. Der ungerade Weg. 

Gerade Zahl heißt Sterben. Ungerade heißt Leben.

Der Würfel ist einfach perfekt. Ich gebe die wichtigste Entscheidung meines Lebens aus der Hand. Warum auch nicht? War sie denn so wichtig? Wichtiger als andere, z.B. diese gottverdammte Zeitung abzubestellen? Nein. Am Ende, am Scheideweg des Seins, zählt alles gleich. Der Würfel ist so gut wieder jeder andere Gegenstand, um diese Entscheidung zu fällen.

Eins, Drei und Fünf heißt: Neustart

Zwei, Vier und Sechs heißt: Stecker ziehen. Der Tod.

Er kichert. Richtig poetisch ist er in seinen vielleicht letzten Gedanken geworden.

Nun ist es aber Zeit, sie endlich zu treffen. Die letzte Entscheidung seines alten und die vielleicht erste Entscheidung seines neuen Lebens.

Er lässt den smaragdgrünen Würfel langsam aus seiner Hand rollen. All die Verantwortung liegt nun auf ihm. Wie ein Edelstein blitzt er auf, als er seinen Weg zum Boden antritt.

Leben oder Sterben.

Er schlägt auf dem Kopfsteinpflaster auf.

Leben oder Sterben.

Wie wild springt er umher.

Leben oder Sterben.

Er kommt zur Ruhe. Seine Oberfläche glitzert im schwachen Licht der Laternen.  Weiße Punkte strahlen ihn an und durchdringen die unergründliche Schwärze, den Teerfilm seiner Seele. Die Entscheidung ist gefallen. 

Ein Seufzer entfährt ihm.

Nun ist ihm nicht mehr kalt. Für einen Moment kehrt die Klarheit in seinen Geist zurück, die ihm sagt, dass er nie wieder schwere Entscheidungen treffen muss. Denn die Wichtigste wurde ihm soeben abgenommen. Von nun an ist alles simpel.

Seine Hände umklammern fest die Pistole.