Nachdem
Clara weg war, machte Leopold sich daran, das ganze Haus noch einmal
gründlich zu durchsuchen. Einerseits hatte er immer noch keinen
regenfesten Mantel gefunden, andererseits hatte die Begegnung mit der
jungen Frau ihm klar gemacht, dass ihm noch etwas anderes fehlte.
Leopold war auf der Suche nach einer größeren Waffe.
Natürlich
war ihm klar, dass ihm auch ein Schwert oder etwas ähnlich großes
nicht viel weiterhelfen würde, wenn ihn jemand wie Clara aus dem
Hinterhalt angriff. Allerdings hatte allein ihr spöttischer Blick
auf seine Sichel in ihm den Wunsch geweckt, sich mit etwas
ehrfurchtgebietenderem verteidigen zu können. In diesem Haus schien
es allerdings nichts passendes zu geben. Immerhin fand er eine Plane,
aus der er sich mit der Sichel ein passendes Stück herausschnitt, um
es bei Regen wie eine Decke um die Schultern legen zu können. Als er
eben beschließen wollte, dass sein Waffenproblem überall zu lösen
sei, nur eben hier nicht, fiel ihm der Schuppen ein, den er von außen
gesehen hatte. Er schnappte sich sein Bündel, verließ das Haus und
ging die paar Schritte bis zu der kleinen Bretterbude, in der er, wie
es bei ihm zu Hause gewesen war, allerlei Gartengerät vermutete. In
Gedanken an seine kürzliche Niederlage gegen einen rein körperlich
eindeutig schwächeren Gegner sah er sich noch einmal gründlich um,
bevor er das staubige Innere betrat.
Die
Gartengeräte hier drin waren im Grunde die gleichen wie im
heimischen Schuppen. Der Unterschied lag darin, dass sie zuhause
ordentlich aufgereiht an der Wand hingen, während hier alles kreuz
und quer durcheinander lag. Leopold sah sich verschiedene Hacken,
Beile und Rechen an, konnte aber an keinem der Geräte so recht
Gefallen finden. Manches war zu schwer, einiges taugte nicht zum
Angriff und der Rest sah einfach nicht nach Waffe aus. Zu guter Letzt
fiel Leopolds Blick auf eine alte Sense. Er hob das Gerät auf und
wog es in der Hand. Schwer. Aber nicht zu schwer. Er prüfte die
Klinge. Erstaunlicherweise war sie nur von einer dünnen Rostschicht
überzogen, darunter aber noch intakt. Leopold verließ den Schuppen,
um seinen Fund auszuprobieren.
Schon
nach den ersten Schwüngen stellte er fest, dass er den Stiel würde
auswechseln müssen. Das Holz war ein paar Mal zu oft nass geworden
und hielt nicht mehr viel aus. Er dachte nach. Vielleicht empfahl es
sich ja auch, den langen Stiel ganz wegzulassen, und stattdessen
lieber einen kurzen Griff anzubauen, wie bei einem Kurzschwert? Diese
Idee gefiel ihm nicht schlecht. Er beschloss, bei nächster
Gelegenheit einen Versuch zu machen.
Nachdem
er das Sensenblatt verstaut und auch einen neuen Schleifstein
eingepackt hatte, der alte war mit seinem Rucksack verloren gegangen,
brach Leopold wieder auf, um vor dem Abend noch ein paar Wegstunden
zurückzulegen.
***
Als
Leopold abends an seinem Feuer saß machte er sich wieder einmal
Gedanken um Jackson und die Aufgabe, die dieser ihm gestellt hatte.
Natürlich hatte dieser Typ ihm nicht das geringste zu sagen,
geschweige denn ihm Hausaufgaben aufzugeben, aber nach der
belustigten Reaktion von bereits zwei Leuten bei der Nennung seines
Namens musste er sich eingestehen, dass „Leopold“ wohl kein Name
für die Outlands war. Versonnen strich er über das Sensenblatt, von
dem er gerade unter Verwendung seines Schleifsteins und einiger
Büschel Gras Rost und Schmutz entfernt hatte und sah den
Lichtreflexen zu, die das Feuer auf der nunmehr blanken Oberfläche
verursachte. Plötzlich stutzte er. Was war das da auf der Klinge? Da
war ein Schriftzug. Leopold sah genauer hin. „Rodge Sunderland“,
hieß es da und klein darunter: „Gartengeräte“. Ach so. Leopold
musste Grinsen. Einfach nur eine Herstellerprägung.
Mit
plötzlich aufkeimendem Interesse nahm er seine Sichel zur Hand und
suchte nach einer ähnlichen Prägung. Die Klinge war zwar nicht
rostig, aber schmutzig und teilweise noch vom Blut des Banditen
bedeckt, der wenige Tage zuvor durch eben diese Klinge gestorben war.
Leopold schauderte, als er den Stahl mithilfe eines Grasbüschels
reinigte. Dann sah er sich das Gerät noch einmal genau an. Im ersten
Moment war nichts zu sehen und Leopold war fast ein wenig enttäuscht,
doch dann entdeckte er doch noch etwas. Ganz nah am Griff gab es eine
winzige Gravur. Leopold hielt die Sichel ganz nah vor seine Augen. Er
brauchte eine Weile, um herauszufinden, in welchem Winkel das Licht
des Feuers auftreffen musste, damit er den Schriftzug entziffern
konnte. In winzigen, geschwungenen Buchstaben war dort eingeprägt:
„Rodge Sunderland“.
Leopold
lachte laut auf. Zwar fehlte hier die Unterzeile, aber es war doch
klar, dass es sich um ein- und dieselbe Firma handelte. Das wäre ja
fast ein Grund um...
Nein,
das war zu albern. Die Leute würden ihn dafür auslachen.
Das
hieß, würden sie das? Wie viele Menschen mochten wohl noch Kenntnis
davon haben, dass es mal eine Firma namens „Rodge Sunderland“
gegeben hatte, die Gartengeräte hergestellt hatte? Kaum jemand, so
viel war klar. Leopold probierte den Klang des Namens ein paar Mal
aus.
„Rodge
Sunderland. Rodge, Rodge, Rodge“
Abermals
musste er lachen. Die Idee war albern, aber sie gefiel ihm. Sie war
aus einer zufälligen Übereinstimmung von Belanglosigkeiten
entstanden. Das erinnerte Leopold an sich selbst. Ja, ihm wurde
gerade klar, dass auch er sich als nichts weiter verstand, als eine
zufällige Übereinstimmung von Belanglosigkeiten. Ein Körper, ein
Geist, eine Seele, zusammengewürfelt ohne System oder Prinzip, ein
Leben, eine Verwandschaft, die nicht im geringsten auf die anderen
Teile seines selbst abgestimmt waren, und das alles im Grunde so
belanglos, wie das Leben und Sterben an sich. Leopold hätte schon
wieder anfangen können, zu lachen, aber er befürchtete, nicht mehr
damit aufhören zu können und letztendlich einer äußerst
egozentrischen weil einsamen Form des Wahnsinns zu verfallen. Diese
Vorstellung flößte ihm genug Respekt ein, dass er sich zusammenriss
und nur ein bitteres Lächeln seine Lippen umspielte. Ja, die Idee
war gut. Es sah so aus, als habe er seinen Namen gefunden.
Nicht
lange danach hüllte sich Rodge in seine Decke und war kurz darauf
eingeschlafen.
***
Die
nächsten Tage vertrieb sich Rodge die Zeit während der Wanderung
damit, sich selbst neu zu erfinden. Natürlich wusste er genau, dass
der einfache Beschluss, von jetzt an selbstbewusster, mutiger, oder
souveräner aufzutreten, ihn nicht zu einem Kerl wie Jackson machen
würde, aber er spürte auch, dass mit dem neuen Namen auch eine neue
Person in sein Leben getreten war. Leopold war der Junge gewesen, der
von seinen Eltern beschützt und behütet in einem großen, einstmals
prächtigen Anwesen aufgewachsen war. Rodge dagegen war ein
Abenteurer. Zwar war er noch unerfahren, aber von nun an sah er seine
ganze Wanderung von einer anderen Warte aus. Er war nicht mehr
einfach der hilflose Jugendliche, der sich in einer fremden,
feindlichen Umgebung durchschlagen musste. Von nun an war er ein
junger Mann, der eine feindliche Umgebung durchstreifte, in der er
zuhause war.
Bemerkenswerterweise
führten diese Gedankengänge keinesfalls dazu, dass er das Ziel
seiner Reise, nämlich wieder ein behütetes Leben bei seinem Onkel
zu führen, in Frage stellte. Vielmehr blendete er es einfach aus. Er
war auf dem Weg. Sein Ziel hieß Bucktopia. Was dann kommen würde,
war für den Moment nicht wichtig.
Neben
der neuen Sichtweise auf seine Wanderung und der daraus folgenden
Begeisterung dafür hatte der neue Name jedoch noch eine andere
Auswirkung. Der Gedanke an den Mann, den er getötet hatte, tat ihm
nicht mehr weh. Die letzten Tage hatte er sich oft damit gequält,
immer wieder hatte er die Szene durchlebt, immer wieder das Geräusch
reißenden Gewebes gehört und dem Blick in die ungläubig
aufgerissenen Augen des Sterbenden standhalten müssen. Doch Rodge
war nicht Leopold. Rodge war ein Abenteurer, mutiger, entschlossener,
draufgängerischer als sein alter ego, und dazu gehörte, dass er
nicht den Schwanz einzog, wenn es drastisch wurde. Rodge war, trotz
seiner mangelnden Erfahrung, abgebrüht genug, den Anblick eines
Toten ohne mit der Wimper zu zucken zur Kenntnis zu nehmen. Und
notfalls wieder zu töten.
Es
war diese Seite seiner neuen Rolle, die Rodge manchmal Angst machte.
Tagsüber war er solchen Anwandlungen gegenüber natürlich immun,
aber wenn er abends am Feuer saß kam er oft ins grübeln. Zu dieser
Zeit verblasste Rodge zum Teil, und der Junge, der da nachdenklich am
Feuer saß, war zum größten Teil einfach Leopold. Und Leopold
grauste es vor Gewalt, vor Mord und Totschlag. Am meisten aber
grauste es ihm bei dem Gedanken, eines Tages selbst jemandes Leben zu
nehmen, bewusst dieses Mal und ohne eine Miene zu verziehen oder dem
Leichnam noch einen Blick zu gönnen. Das gehörte, wie er wusste, zu
seiner Rolle als Rodge dazu. Und davor hatte er Angst.
Auf
der anderen Seite wurde ihm bei diesen nächtlichen Grübeleien klar,
dass Rodge auch nur einen Zweck erfüllte. Die Schonungslosigkeit und
Kälte in Bezug auf seine Gegner befreiten ihn von der Last der
Schuld, die Leopold beständig mit sich herumschleppen musste. Allein
deshalb schon war Rodge besser für den Überlebenskampf in den
Outlands geeignet. Die Frage nach Schuld kam für ihn erst nach dem
Überleben. Für alles, was er im Zeichen seines Überlebens tat,
fühlte Rodge sich nicht schuldig. Dadurch war er flexibler und
kompromissloser in seinen Handlungen.
***
Eines
Tages, er war gerade auf dem Weg durch ein kleines Wäldchen aus
verwilderten Obstbäumen, hörte Rodge auf einmal einen Schrei. Er
blieb kurz stehen, um zu lauschen. Kein Zweifel, da war irgendwo ein
Kampf im Gange. Schmerzensschreie und solche, die im Eifer des
Gefechts ausgestoßen wurden, Fußgetrappel und hin und wieder das
Geräusch von schweren Knüppeln, die aufeinander oder auf Körper
prallten. Leopold hätte sich jetzt wahrscheinlich aus dem Staub
gemacht, oder sich einen Platz gesucht, um das Geschehen aus sicherer
Entfernung verfolgen zu können. Rodge dagegen verhielt sich anders.
Mit langen Schritten lief er in die Richtung, aus der die Geräusche
kamen. Beim Laufen zog er seine Sichel hervor.
Schließlich
kam Rodge an eine kleine Lichtung und wurde Zeuge eines höchst
einseitigen Kampfes. Zwei muskelbepackte Kerle hieben mit großen
Knüppeln auf einen Mann ein, der die Schläge so gut es ging mit
einem langen Stock abwehrte. Über seine Stirn zog sich ein blutiger
Kratzer und er schien mit seinen Kräften schon fast am Ende zu sein.
Gerade gesellte sich ein dritter Kerl zu den beiden Knüppelmännern
und fing ebenfalls an, auf den Einzelnen einzuschlagen. Am Boden lag
das, was von den Begleitern des Stockkämpfers übrig war. Einer der
beiden schien gleich zu Anfang ohne Vorwarnung von einem Pfeil
getroffen worden zu sein. Seine Taschen waren durchwühlt, wohl das
Werk des dritten der Räuber. Der Bogen und ein Köcher mit einem
Pfeil lagen achtlos neben einem Baum. Weit schlimmer sah es bei dem
zweiten Toten aus. Während sein Rumpf keine schweren Verletzungen
aufwies, war von seinem Kopf nicht viel übrig geblieben.
Wahrscheinlich hatte ihn einer der riesenhaften Knüppel seitlich
getroffen, jedenfalls war der Schädel komplett zertrümmert und der
Körper lag in einem unappetitlichen Brei, über dessen Herkunft
Rodge lieber nicht zu lange nachdenken wollte. Auch seine
Abgebrühtheit hatte irgendwo ihre Grenzen.
Mit
drei großen Schritten war er bei den Kämpfenden angelangt. Ohne zu
zögern hob er seine Sichel, um dem ersten der Männer die Kehle
durchzuschneiden. Dieser hatte ihn jedoch scheinbar trotz des
Kampflärms kommen hören, denn er drehte sich gerade noch
rechtzeitig um und zwang Rodge durch einen Schlag mit seiner Keule
zum Zurückweichen.
Rodge
warf einen kurzen Blick auf seine Waffe und begriff, dass dies der
Zeitpunkt war, an dem er eine größere hätte gebrauchen können.
Der andere schien seinen Gedanken zu erraten. Mit einem höhnischen
Grinsen ging er auf Rodge los. Der begriff, dass er nur geringe
Chancen hatte, schon wieder so glimpflich davonzukommen, wie bei
seinem letzten Abenteuer dieser Art. Vor allem nahm er sich vor,
unter keinen Umständen zu Boden zu gehen. Wenn er wieder liegend in
die Augen eines stehenden, besser bewaffneten Gegners sehen müsste,
wäre das vermutlich das Letzte, was er täte. Geschickt wich er den
Schlägen des riesigen Kerls aus, der wie besessen auf ihn los ging.
Ihm war klar, dass er sich schleunigst etwas einfallen lassen musste,
um aus dieser unangenehmen Situation wieder herauszukommen. Sein
Blick suchte die andere Seite der Lichtung ab. Auf einmal kam ihm
eine Idee.
***
Der
Kleine hatte es tatsächlich schon wieder geschafft. Er hatte sich in
einen Kampf eingemischt, der ihn absolut nichts anging und steckte
prompt knietief in Schwierigkeiten. Der Schatten bewegte sich am Rand
der Lichtung, immer durch die Bäume gedeckt. Das Wurfmesser hatte er
schon erhoben. Jetzt wandte der grobschlächtige Kerl ihm das Gesicht
und damit auch den Hals zu. Der Schatten holte kurz aus.
***
Rodge warf seine Sichel in Richtung des Gesichts seines Gegners.
Dieser war überrascht und stolperte kurz nach hinten, um
auszuweichen. Als Rodge gerade nach vorne hechtete und unter dem Arm
des Riesen durchtauchte, sah er ein silbriges Glänzen dort
entlangfliegen, wo sich eben noch der Kopf des Banditen befunden
hatte. Ohne sich weiter Gedanken darum zu machen warf er sich nach
vorn, packte den herumliegenden Bogen und den einen Pfeil, der
danebenlag, richtete sich beim Umdrehen in eine sitzende Position auf
und schoss.
Mit seinem eigenen Pfeil in der Brust brach der Koloss zusammen.
Sofort sah Rodge sich nach seiner Sichel um, in der Absicht, sie zu
schnappen und sich wieder in den ungleichen Kampf einzumischen,
dessentwegen er überhaupt auf die Lichtung gestürmt war, aber in
diesem Moment verpasste einer der beiden Räuber seinem Opfer einen
so heftigen Hieb, dass dessen Stock entzweibrach und der Mann mit
einem Kopftreffer zu Boden ging.
Die beiden Männer drehten sich um. Hass stand in ihren Blicken. Sie
hatten sehr wohl mitbekommen, wie Rodges Kampf mit ihrem Kameraden
ausgegangen war. Nun wollten sie ihn rächen. Einer der beiden
entdeckte die Sichel im Gras. Sie lag nur wenige Zentimeter vor
seinen Füßen. Er hob sie auf, hielt sie kurz hoch, um sie mir und
seinem Kumpan zu zeigen, und ließ sie dann hinter seinem Rücken
fallen. Die Botschaft war deutlich. Rodge schluckte.
Gerade, als die beiden Anstalten machten, sich in Richtung ihres
nächsten Opfers auf den Weg zu machen, flogen zwei glitzernde Dinge
durch die Luft. Das eine schlitzte dem vorderen der Banditen den Hals
auf. Er fiel leblos zu Boden. Ein Stück weiter blieb das Wurfmesser,
jetzt konnte Rodge erkennen, worum es sich handelte, in einem Baum
stecken. Das zweite Messer flog auf den zweiten Räuber zu. Der war
jedoch geistesgegenwärtig genug, seinen Kopf ein Stückchen zur
Seite zu neigen. Die Klinge hinterließ einen langen Schnitt auf
seiner Wange und fiel dann weiter hinten ins Gras.
***
Damit
war das letzte Wurfmesser verbraucht. Ein leiser Fluch drang aus dem
Dickicht, nicht laut genug, um auf der Lichtung gehört zu werden,
aber deshalb nicht weniger inbrünstig. Von nun an würde sich alles
um die Nahkampfwaffen drehen.
***
Das überrumpelte Ex-Bandenmitglied warf einen schnellen Blick zu dem
Gebüsch, aus dem die Messer gekommen waren. Dann stürmte der Kerl
plötzlich los, überquerte die Lichtung und zerrte Rodge, der
waffenlos und zudem ziemlich überrumpelt war, ins Gebüsch. Der
Räuber schien sich da einigermaßen sicher zu fühlen. Jedenfalls
kümmerte er sich, nach einem misstrauischen Blick in die Runde, erst
einmal nicht mehr um denjenigen, der für die Wurfmesserattacke
verantwortlich war, sondern beugte sich tief zu Rodge hinunter und
hielt ihm ein Messer an die Kehle, das er aus seinem Gürtel gezogen
hatte.
„Jetzt mein Freund kommt die Rache“ wisperte er ihm zu.
„Ich weiß zwar nicht, was dich zu deinem Heldenmut bewogen hat,
aber was immer es ist, du hast jetzt noch drei Sekunden Zeit, es aus
tiefstem Herzen zu verfluchen.“
„Ich glaube nicht, dass drei Sekunden für all diese Dinge reichen“
erwiderte Rodge. Immerhin, eine halbwegs unbeeindruckte Antwort zum
Schluss. Nicht so souverän, wie er es gern gehabt hätte, aber für
einen Anfänger auch nicht ganz schlecht.
Der Bandit schenkte ihm ein spöttisches Lächeln und setzte die
Klinge an seinem Hals an.
Auf einmal die gleiche Situation nochmal. Neulich, der krumme
Wegelagerer. Das Blut aus dem Hals, warm und in pumpenden Stößen.
Der erschrockene, ungläubige Blick, ganz genauso.
Aber dennoch eine andere Situation, ein anderer Mensch, ein anderer
Tag. Doch woher das Blut? Er hatte doch seine Sichel gar nicht mehr?
Rodge stieß den Körper von sich weg. Vor ihm stand eine Gestalt,
nicht sehr groß, in einen schwarzen Umhang gehüllt. In der Hand
hatte sie einen blutigen Dolch. Ein paar Sekunden lang sahen sich die
beiden schweigend an. Dann ergriff Rodge das Wort.
„Danke. Ich war ganz schön am... naja, danke jedenfalls. Warum
hast du das gemacht? Wer bist du?“
„Die Einzelheiten klären wir später“ sagte die Gestalt und
Rodge zuckte zusammen. Nicht, weil die Stimme so furchteinflößend
gewesen wäre, nein, eher im Gegenteil. Sie war so hoch, klar, so gar
nicht passend zu dem Krieger, der hier vor ihm stand. Wobei... bei
näherer Betrachtung war die Gestalt wirklich klein. Auch war die
Statur nicht gedrungen , sondern eher schlank, mit durch den Umhang
verschleierten Kurven, die erst zum Vorschein kamen, wenn man die
Person in der dunklen Kleidung einmal ganz genau betrachtete, und
die...
Rodge war fassungslos.
„Du bist ein... ein... ein Mädchen!“