MVJstories

MVJstories ist ein Blog, auf dem eine kleine Gruppe junger Schriftsteller Auszüge aus ihren Werken veröffentlicht. Feedback ist ausdrücklich erwünscht. Und nun viel Spaß beim lesen!

Samstag, 13. Juni 2015

Mansu - Teil I




Von Mr. Big

I
Inseln über dem Winde, Atlantischer Ozean (Karibik)

Der Wind strich sanft über die steinigen Klippen der Insel. Das leichte Rascheln der Lianen erfüllte den Dschungel mit seiner eigenen Dynamik. Weit unterhalb der Klippen war ein Pfad zu sehen. Er verband die zwei größten Dörfer der Insel miteinander. Hier im Nirgendwo gab es zwei Dinge zu Genüge: Die Ruhe und die Natur.

Auf einem hohen Tropenbaum, hoch über den Klippen, saß ein Vogel, den Blick auf die Wellen gerichtet, die langsam gegen den Strand treiben. Von hier oben konnte der Trupial einen Großteil der Nordseite der Insel einsehen. Im Dickicht war er verborgen, verborgen vor allzu neugierigen Blicken der Raubvögel und hoch genug, um außer Gefahr von menschlichen Jägern zu sein.  

Ein lautes Rascheln ertönte aus dem Dschungel. Emsig richtete der Trupial seinen Blick ins Gebüsch. Etwas näherte sich ihm, aber es war noch weit, weit entfernt. Seine Onyx-Augen fixierten für einen kurzen Moment die langen Palmenblätter und Lianen, die sich rhythmisch im Wind bewegen. Der Urwald auf der Insel war so dicht, dass eine ganze Horde hier verborgen bleiben könnte, ohne aufzufallen. Auch wenn Teile der idyllischen Landschaft von Menschen bereits erschlossen waren, so hatte hier die Natur noch immer Oberhand. Hier, auf diesem Baum hoch oben über den Klippen, mit den Ästen gen Meer gerichtet, gab es nichts, was darauf hinwies, dass schon jemals Menschen an dieser Stelle gewesen waren.

Die Wellen brandeten gegen die steinigen Klippen. In der Mittagshitze brannte die Sonne den Federn des Tiers, das einer Robe aus feinen orange-gelben Fasern glich. Ein Rascheln war aus dem Gebüsch zu vernehmen. Der Trupial spürte die Gefahr. Mit einem Satz schwang er sich nach oben, nur um im nächsten Moment mit übernatürlicher Kraft zurückgezogen zu werden. Es war zu spät. Die Falle war zugeschnappt.

Dicke Seile umschlangen ihn und zogen ihn in die Tiefe, weiter und weiter. Der Himmel verschwand aus dem Sichtfeld, der steinige Boden kam bedenklich nahe. Dann wurde er herumgewirbelt, orientierungslos und hilflos hing er in der Luft, gefangen von dickem Garn, aus dem es kein Entkommen gab. 

Ein Flüstern durchschnitt die Stille.

„Ich hab dich.“ 

Behutsam zog Mansu das Netz zurück. Freudig trampelte er mit seinen nackten Füßen auf dem schweren Ast des Tropenbaumes. Ein Schwarm Vögel erhob sich aus der Krone und flatterte davon. Doch das war ihm egal. Er hatte sein Exemplar gefangen. Mit einem Satz schlang er die Beine um den Ast. Unter ihm, in zwanzig Metern Tiefe, strich eine leichte Gischt aus Wasser über die Felsen. Hätte er den Halt verloren, so wäre er wie eine Melone auf dem Gestein zerschellt. Doch er verlor nie den Halt. Mansu war in diesen Wäldern aufgewachsen, kannte die Bäume wie seinen eigene Westentasche, kannte die Tücken, denen man sich aussetzte, wenn man die Lianen benutzte, gebrechliche Äste erwischte und dergleichen. Seit über zwanzig Sommern war er nun schon ein Kind des Dschungels, und sein Geschick hatte ihn noch nie enttäuscht.

Das Netz baumelte lässig zwischen seinen Beinen. Er begann, es langsam an sich heranzuziehen. Der Gefangene schlug voller Todesangst um sich, hackte, kratzte, versuchte irgendwie dem drohenden Schicksal zu entrinnen. Seine schwarzen Augen zuckten voller Panik hin und her, suchten eine Lücke, fanden sie nicht. Mansu griff nach seinem Beutel. Es gehörte zu den wenigen Utensilien, die er bei sich trug. Ein Großteil seines Oberkörpers war von grauem Schlamm überzogen. Auf seiner Brust waren Streifen in brauner Farbe zu erkennen. Diese kühlende Schicht schützte ihn vor der Sonneneinstrahlung und sorgte dafür, dass seine Haut nicht austrocknete. Unterhalb des Bauches trug er einen Lendenschutz, der aus Lumpen und Blättern bestand. Er war eng anliegend und gab ihm die nötige Flexibilität fürs Klettern. An Handgelenk, Hals und Fußknöchel glitzerten kleine Perlen in dunklen Farben, die durch biegsames Wildgras befestigt waren. 

Mansu zog sein Messer hervor. 

„Komm schon, nun hab dich nicht so.“ redete er auf das Tier ein. Im Sonnenlicht war kaum mehr zu erkennen, aus welchem Material die Klinge war. Das glasig-schwarze Metall war an den meisten Stellen mit grauen Furchen überzogen. Langsam bewegte er seine Hand in Richtung des Netzes. 

Der Vogel wand sich hilflos in seinem Elend. Das Einzige, was ihm noch blieb, war ein letztes Stoßgebet zum Vogelgott zu senden. Das Messer fuhr hernieder und grub sich in die Rinde des Baumes.

Mansu begann zu pfeifen. Plötzlich erstarrte das Tier und beäugte argwöhnisch seinen Peiniger. Der Klang eines Artgenossens drang in seine Ohren. Dennoch war ihm dieses Wesen fremd, was da mit der schwarzen Klinge saß und begann, Rinde aus dem Baum zu schälen. Mansu wusste um die Qualitäten dieses Tropenholz, das biegsame Holz eignete sich perfekt zum Verarbeiten. Im Handumdrehen hatte er einen kleinen Ring hergestellt, auf dem zwei Zeichen eingeritzt waren. Ihre uralte Bedeutung war nur noch wenigen bekannt.



Die Schrift stammte noch aus der Zeit vor der Besiedlung der Insel durch die „Weißen“, wie er sie nannte. Vor ca. 100 Jahren waren sie gekommen, brachten ihre eigene Kultur und Sprache mit und verdrängten nach und nach die Alteingesessenen, die Einheimischen der Insel, deren Sprache  [ Ðælon ] gewesen war. Nicht mehr als ein paar tausend Sprecher waren in ihre Geheimnisse eingeweiht. Und da die fortschrittlichen Kolonialisten sich nicht die Mühe gemacht hatte, sie zu erlernen, hatten sie sie nach und nach abgeschafft. Erst mit ihren eigenen Sprache, dann mit Erziehung, später mit Gewalt.

Mansu griff erneut in seinem Beutel und schob den Ring zwischen die Finger. Mit einer filigranen Bewegung glitten seine Hände ins Netz. Im nächsten Moment hatte er den Vogel gepackt, stecke ihm einen Korn in den aufgerissenen Schnabel und befestige sogleich den Ring an seinem Fuß.

Verblüfft, fast schon skeptisch starrte in der Trupial an. Mit einem leichten Ruck öffnete er wieder das Netz. Das Tier sah seine Chance gekommen und flog hinaus, nur um sich im nächsten Moment auf einem naheliegenden Ast niederzulassen. Der hölzerne Ring war deutlich an seinem Fuß zu erkennen. 

„Willst du mehr?“

Er schnippte ein Korn aus seiner Hand. Es segelte hoch. Einen Moment später schoss der Vogel hervor und verspeiste es. Mansu begann wieder zu pfeifen. Es war eine komplexe Abfolge an Tönen, die nur sehr wenige Menschen beherrschten. Einzelne Artgenossen lösten sich aus den Kronen der umliegenden Bäume und versammelten sich um ihn. Sie alle trugen einen Ring um die Beine und waren mit der Zeit von ihm gezähmt wurden. Zufrieden lehnte sich Mansu zurück und ließ die Sonnenstrahlen über sein Gesicht tanzen.

Fortsetzung folgt...

Mittwoch, 3. Juni 2015

Langeweile

Ich muss vorweg sagen, dass ich oft nicht darum herum komme meine Wochenenden, die doch als Erholung von den anstrengenden Strapazen von Montag und seinen, aus ähnlichem Holz geschnitzten Brüdern: Dienstag, Mittwoch und Donnerstag, zu verplanen.
Ich weiß nicht woran das liegt, doch ich vermute, dass es etwas mit mir zu tun hat. Wie oft sehnte ich mich doch nach einem Wochenende, an dem ich einfach nichts zu tun hatte. Einfach mal abschalten, nichts tun.
Nun endlich war es soweit. Es war Freitag. Freitags habe ich immer sehr zeitig Feierabend und an diesem Freitag, sowie an den folgenden beiden Tagen, hatte ich bisher nichts vor.
Ich ging also gemütlich nach hause, genehmigte mir noch eine Tasse Kaffee, und während ich abwechselnd einen Schluck aus meiner Tasse und einen Zug von meiner - mit Kaffee-liquid gefüllten – Dampfmaschine nahm, überlegte ich, was ich mit diesem Wochenende denn nun anfangen sollte.
Sofort fielen mir Unmengen an Dingen ein. Von alltäglichen Haushaltsdingen über lesen bis hin zu faulenzen, war alles dabei. Doch ein schneller Gang durch die Wohnung zeigte auf, dass es gar nicht so viele alltägliche Dinge zu erledigen gab und mit einer Sanierung der Wohnung, die sie durchaus einmal nötig hätte, wollte ich mich nicht an meinem freien Wochenende herum plagen.
Ich ging also weiter zu meinem Bücherregal. Ich sortierte alle Bücher, die ich bereits gelesen hatte fein Säuberlich rechts von mir auf den Boden und alle, die ich zwar noch nicht gelesen hatte, aber auch nicht lesen wollte, links von mir. Übrig blieb ein leeres Regal.
Da sich die Situation nun so anbot und ich ohnehin nichts anderes zu tun hatte, holte ich nun einen Lappen aus der Küche und wischte das Regal so Gründlich wie irgend möglich aus.
Als der Staub nun Platz machte und mir die abgenutzten, hölzernen Zwischenböden offenbarte, zögerte ich nicht lange, holte die Holzlasur und begann das Regal auf Vordermann zu bringen.
Entweder, bin ich während der Arbeit durch ein Wurmloch gefallen ohne es zu bemerken, oder ich habe verdammt schnell gearbeitet. Jedenfalls war ich nach meinem Empfinden fertig gewesen bevor ich überhaupt angefangen hatte. Immer noch an der Wurmlochtheorie festhaltend, schaute ich mich vorsichtig um, in Erwartung darauf, dass ich mit einem Lappen durch die Tür kommen würde um das Regal sauber zu machen. Ich überlegte sogar, was ich mir sagen würde. Dass das Regal bereits gesäubert und neu lasiert war. Doch ich kam nicht.
Bald wurde mir klar, dass dies auch gar nicht sein könnte, da ich ja dann bereits erlebt hätte, wie ich... also... nun ja... die Sache mit den Zeitreisen ist doch sehr speziell...
Nun befand ich mich in einer Zwickmühle, denn ich hatte einerseits die auf dem Boden befindlichen Bücher und auf der anderen Seite das frisch gestrichene Regal. Ich war machtlos. Ich musste mich dem Zwang ergeben einfach abzuwarten. Und so warf ich mich auf mein Bett um dem Punkt faulenzen nachzugehen.
Die folgenden 07:42 Minuten, lassen sich in drei Phasen teilen:

Phase 1: (eingetreten nach 22 Sekunden)
Ich langweile mich. Ich beginne leise zu summen.

Phase 2: (Eingetreten nach 03:54 Minuten)
Das Summen beginnt mich zu langweilen. Ich höre auf und beginne nach kurzer Pause zu pfeifen.

Phase 3: (Eingetreten nach 05:01 Minuten)
Ich springe von meinem Bett auf und beginne, meine E-Zigarette als Mikrofon haltend vor dem Spiegel dramatische Musicalsongs nachzusingen.

Nach 07:42 Minuten, brüllt ein Nachbar über den Hinterhof, ich solle das Fenster zumachen. Das Fenster war zu. Kurz war ich beeindruckt wie laut dieser Nachbar brüllen konnte, dann überlegte ich was ich nun tun sollte.
Draußen schien die Sonne. Doch um raus zu gehen war ich zu träge. Es war ja schließlich mein freies Wochenende.
Vorsichtig fasste ich das Regal an um zu überprüfen, ob es den schon trocken war. Es war noch nicht trocken. Ich wusch mir die Hände und mein Blick fiel erneut aus dem Fenster.
Jetzt kam mir eine hervorragende Idee. Ich holte meinen Liegestuhl aus einer Ecke, stellte ihn vor das Fenster und einen Sixer Bier direkt daneben. Das Wochenende konnte beginnen.
1 ½ Bier später setzte wieder die Langeweile ein. Ich begann mir sinnlos Apps und Spiele für mein Handy herunterzuladen. Eine sogenannte Kuckucksapp, sollte jede volle Stunde damit einleiten, dass ein digitaler Kuckuck aus einer digitalen Kuckucksuhr kam und Radau machte. Den Radau konnte man selbstständig einstellen und der Kuckuck kam dann im Rhythmus zu dem individuellen Radau aus seinem Heim. Ein Wecker für Idioten wenn man so will. Nichts desto Trotz, lud ich mir gleich noch den nervigsten und grausamsten Klingelton herunter, den man sich vorstellen kann. Oder auch nicht vorstellen kann. Er war wirklich schrecklich.
Weitere zwei Bier Später wurden auch die Apps langweilig. Und nach weiteren 2 ½ Bier in tödlicher Langeweile, war der Abend für mich gelaufen. Das Bier war alle.
Ich überlegte ins Bett zu gehen doch dafür war es noch zu früh. Nicht jedoch um den Rest des Tages in einer Kneipe zu verbringen.
Und so begab ich mich in die schäbigste Szenekneipe, die ich finden konnte, in der Hoffnung, hier billigen Alkohol abgreifen zu können. Billig war er aber nicht vom Preis. Als ich ein Bier und einen Whisky bestellte, bekam ich ein Sternburg und ein Glas Jack Daniels.
Erst wollte ich mich beschweren, doch dann fiel mir wieder ein, dass ich bereits sechs Bier getrunken hatte und einen Jack Daniels ohnehin nicht mehr von einem Laphroaig unterscheiden konnte. Also nahm ich das Gesöff hin und gleich noch vier weitere.
Im Uhrzeigersinn drehte ich meinen Kopf über den Tresen um das drehen, dass durch den Alkohol verursacht wurde auszugleichen. Ich hielt nur kurz inne um einmal einen Schluck des guten verachtenswerten Giftes zu mir zu nehmen und mich darauf hin schneller zu drehen um die Runden wieder aufzuholen, die mein Kopf mir voraus war.
Dann kam ein kahlköpfiger, tätowierter, grimmig drein blickender Genosse an den Tresen und bestellte sich, ich zitiere: „Das beste, was dieser Laden zu bieten hat.“
Er bekam ein Sternburg und ein Glas Jack Daniels.
Kollege!“ Sprach, oder lallte ich ihn an und sein grimmiger Blick wanderte zu mir. „Setz dich, wir müssen reden.“
Noch immer grimmig blickend setzte sich der geschätzte Kollege, und ich begann einen Monolog. Ich erzählte, wie wenig ich an diesem Wochenende doch zu tun hatte und das auch nichts da war, was mir erlaubte es zu erledigen. „Nicht einmal die Wäsche!“ Lallte ich. „Sonst habe ich immer Wäsche aber Heute, nichts!“
Weiter erzählte ich ihm, dass das ja aber nun alles nicht mehr so schlimm sei, da ich ja endlich einen Kneipenbruder gefunden habe. „Einen guten Freund erkenne ich sofort, mit einem Blick.“ Beteuerte ich und stieß mit ihm an.
Der Mann blickte noch immer finster drein und ich hatte das Gefühl, dass sogar seine Tattoos und sein kahler Kopf grimmig drein blickten. Es war seltsam.
Ich weiß nicht was ich mir dabei gedacht habe, vielleicht wollte ich das Gespräch auf ihn lenken oder aber, ich wollte die Stimmung etwas heben jedenfalls stellte ich im weiteren ungefähr folgende Frage:
Mein teuerster Freund, du hast ja eine schöne Glatze da auf dem Kopf aber da stellt sich mir doch schon so lange eine Frage, die ich jetzt einfach stellen muss. Bitte verzeih mir wenn es unhöflich ist aber, benutzt du für deinen Kopf auch Haarshampoo oder benutzt du einfach Bodylotion?“
Der Mann begann lauthals an zu lachen und sagte: „Mein lieber Freund, seit 20 Jahren gehe ich jeden Abend in diese Kneipe um meine Frau nicht ansehen zu müssen und stehe erst kurz bevor ich wieder in die Kneipe gehe auf. Mein Körper hat also seit 20 Jahren weder Haarshampoo noch Bodylotion geschweige denn eine Dusche gesehen. Bestenfalls eine Bierdusche.“

Vom weiteren Verlauf des Abends weiß ich nicht viel. Ich wachte am nächsten Morgen auf, weil ein Kuckuck aus meinem Handy sprang und grausame Dinge herum radaute. Ich sprang auf, hielt mir meinen hämmernden Schädel, wunderte mich über die Kahlköpfige Gestalt in meinem Bett, ging versuchte mich zur Tür zu hangeln, stolperte über die, zwar noch nicht gelesenen Bücher, die ich aber auch nicht lesen wollte und landete im immer noch nicht trockenen Bücherregal.
Und so begann mein Samstag.



Victor Ian Clockwork - In gedenken an ein unvergessliches und meiner Phantasie entsprungenes Wochenende.