MVJstories

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Dienstag, 10. Dezember 2013

Getäuscht


Er stand vor der bekannten Tür, ungläubig, dass er hier war und dass er tatsächlich die Klingel betätigen wird.
Er wusste, dass sie sich dahinter befand, denn er hatte es alles sorgfältig überprüft. Er hatte alles getan, um ganz sicher sein zu können, dass er nicht plötzlich vor der falschen Frau stand.
Er musste schmunzeln, dachte an den Überwachungsskandal, der damals in aller Munde war. Hätte er einfach die Geheimdienste angerufen, hätte er sie schneller gefunden. Doch das war jetzt unwichtig. Er hatte sie gefunden. Sie trug einen anderen Namen, hatte geheiratet, zwei Kinder. Ob sie ihnen von ihm erzählt hat? Aber was sollte sie gesagt haben?
Vor 32 Jahren, war er plötzlich verschwunden. Weg! Er war in den Urlaub gefahren, in die Schweiz, hatte sich zuvor noch einige Adressen mitgeben lassen. Für Postkarten, wie er damals gesagt hatte. Doch es kamen keine Postkarten. Er hatte es alles geplant, hatte gespart und recherchiert. Hatte über Jahre den Plan geschmiedet, nun würde er ihn aufgeben.
Er hatte sich damals geschworen, niemals zurück zu kehren, hatte sich selbst umgebracht. Hatte Georg Strömer umgebracht. Hatte ihn in die Schweiz geschickt. Dort war aktive Sterbehilfe legal. Er hatte dafür gesorgt, dass seine Verwandten einen Brief bekamen, in dem stand, warum er dies tat, dass er es nicht mehr aushielt, dass ihm alles zu viel war. Die Falschheit der Welt, der Menschen, aller Menschen. Er hatte sogar eine Urne mit Asche zu dem Haus schicken lassen, in dem er aufgewachsen war. Er hatte Georg Strömer umgebracht und Gregor Schmidt ins Leben gerufen, hatte viel Geld bezahlt und Kontakte spielen lassen. Immer mit bedacht darauf, dass möglichst wenige davon mitbekamen. Dann war Georg weg und Gregor ging nach Australien, Amerika, Irland, führte seinen Plan aus.
Wie oft er schon in dieser Stadt gewesen war, ohne dass es jemand mitbekam. Sein Gesicht hing überall. Plakate, darunter ein Datum, ein Ort, ein Ticketpreis. Nicht selten waren die Plakate überklebt: Ausverkauft. So oft war er hier, so oft hatte sie seine Musik im Radio gehört, bestimmt. Ob sie gemerkt hatte, dass er es war? Ob sie an ihn gedacht hatte? Hatte sie vielleicht sogar eine seiner CD' s in ihrem Regal zu stehen?
Er betätigte die Klingel. Nach einer Weile, öffnete sich die Tür und da stand sie. „Hallo Schwesterherz...“

Lüge! Er ist nicht da, war nie wieder dort, war abgehauen. Gregor Schmidt, war in Australien, Amerika, Irland, hatte Musik gemacht, hatte es nicht geschafft. Hatte all sein Geld verloren, sein Ziel aus den Augen verloren, war verzweifelt. Er wollte zurück doch er wusste, dass er ihnen nie wieder in die Augen schauen könnte. Er hatte sie alle getäuscht, enttäuscht. Er hatte versucht etwas aus sich zu machen, hatte angefangen zu arbeiten, trug Zeitungen aus, half auf Baustellen, ging auf Hochsehfischer, schließlich auf einen Walfänger. Geld hatte man ihm versprochen. Und nun, war er hier. Im ewigen Eis. Er wollte sie besuchen, doch diese Möglichkeit würde er wohl niemals wieder bekommen. Wie oft hatte er sich vorgestellt, wie es wäre, wenn er zurück kehren würde. Doch er war hier, gefangen. Das Schiff, eingefroren. Die Maschinen, ausgefallen. Die Mannschaft, ein Großteil an Board bereits gestorben, bereits vor dem Crash. Der andere Teil, hatte ihm vertraut. Drei waren mit einem Beiboot weggefahren, auf seinen Befehl, um Hilfe zu holen. Doch sie kamen nicht wieder, waren vermutlich auch schon tot. Er wartete trotzdem auf die Hilfe, inmitten seiner toten Kameraden, dachte er an die, die er verlassen hatte. Er hatte Georg Strömer getötet, nun kam es zurück. Nun starb er, Gregor Schmidt. Und Georg Strömer, der noch tief in ihm steckte, starb endgültig. Und die Wahrheit über ihn, über seinen Plan, über seinen Misserfolg. In der Ferne, ein Licht. Es ist weit weg, kam jedoch näher. Doch er, Georg Strömer auch bekannt als Gregor Schmidt, würde es nicht mehr das Land erreichen sehen.


Victor Ian Clockwork
10.12.13

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