Gehen
oder bleiben?
Raus
oder rein?
Die
Entscheidung war nicht so leicht, wie sie einem auf den ersten Blick
vorkam. Mit Mühe blinzelte Aaron durch den schmalen Türspalt hinaus
in den Schneesturm. Einige Tage lang ging das jetzt schon so. Die
Sichtweite betrug nicht mehr als ein paar Meter, überall fiel der
Schnee, kaum noch als Flocken, sondern vielmehr als eine weiße Wand
wahrnehmbar, die sich fast waagerecht an ihm vorbeischob. Nur
manchmal waren schwach die Umrisse des nächsten Hügels zu erkennen,
zumeist sah man aber nur diffus changierendes Weiß.
Langsam
wurde es kalt an den Füßen. Aaron senkte den Blick und bemerkte,
dass der Schnee, der durch den schmalen Türspalt geweht worden war,
einen kleinen Haufen auf seinen Füßen gebildet hatte. Ganz fein war
er sogar etwa zwei Meter in den Raum hinein gestäubt. Schnell
schloss er die Tür, kehrte den Schnee auf und entsorgte ihn in der
Spüle. Es war ziemlich kalt in der kleinen Blockhütte. Aaron
kontrollierte den Ofen und stellte fest, dass er fast ausgegangen
war. Schnell legte er ein paar Scheite nach und sorgte dafür, dass
sie Feuer fingen. Dann zog er sich wieder die dicke Jacke und die
Stiefel über. Es war unbequem, dauernd die unförmigen Wintersachen
zu tragen, aber das Brennholz war knapp und ohne dicke Kleidung ließ
es sich hier drin nicht lange aushalten. Ein Grund, diesen Ort bald
zu verlassen. Wenn Brennmaterial und Nahrung erst einmal alle waren,
würde er hier nicht mehr lange überleben können. Die kleine
Blockhütte bot Schutz vor dem Wind und der Feuchtigkeit, nicht
jedoch vor der Kälte, zumindest nicht ohne funktionierenden Ofen. Er
setzte sich ans Feuer.
Also
aufbrechen?
Zunächst
war daran nicht zu denken. Mitten im Schneesturm loszuwandern würde
einem Selbstmord gleichkommen. Dort draußen wartete die Wildnis,
tage-, vielleicht wochenlang würde er sich durch die menschenlose,
eiskalte Einöde schlagen müssen, bis er überhaupt die Chance
hatte, auf eine Siedlung zu stoßen. Es war also unwahrscheinlich
genug, dass er es bei freundlicherem Wetter schaffen würde. Unter
den augenblicklichen Bedingungen war es ein Ding der Unmöglichkeit.
Er
würde also warten müssen. Wenn es aber so weit war, würde es gut
sein, sofort aufbrechen zu können. Aaron erhob sich. Gleich zu
packen kam ihm wie eine gute Idee vor. Verschwommene Vorstellungen
von jederzeit bereiten Pfadfindern geisterten ihm durch den Kopf. Er
war mitten in der Wildnis. Er musste bereit sein, ihr zu begegnen.
Mit schnellen, aber keineswegs hastigen Schritten ging er durch den
Raum und sammelte ein, was ihm würdig erschien, mitgenommen zu
werden. Mehrere Wolldecken, ein Schaffell, das auf dem abgewetzten
Sofa herumgelegen hatte, Utensilien, um ein Feuer zu entzünden, ein
zerbeulter Kochtopf, jede Menge Trockenfleisch und die paar Orangen,
die sie dabeigehabt hatten. Eine kleine Plane fand sich zusammen mit
einem wirren Knäuel aus Schnüren verschiedener Länge. Nachdem
Aaron noch einige Zeit damit zugebracht hatte, verschiedene
Kleinigkeiten in den großen Rucksack zu packen und einige wieder
herauszunehmen, wenn sie ihm doch nicht mehr so nützlich vorkamen,
blieb er schließlich stehen. Das Messer. Das Messer und der Kompass.
Beides würde er brauchen. Aber beides befand sich im Nebenraum.
Zischend ließ er Luft durch die Lippen entweichen. Er wollte nicht
da rüber. Seit er hier allein war hatte er den zweiten Raum der
Blockhütte nicht mehr betreten. Er wollte nicht sehen, was sich dort
befand, wollte sich nicht daran erinnern, was dort vorgefallen war.
Messer
und Kompass.
Er
würde sie brauchen.
Noch
einmal atmete Aaron tief durch. Dann ging er hinüber zu der Tür,
öffnete und trat ein.
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