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Freitag, 12. Dezember 2014

Kälte. Folge 1: Gehen oder bleiben?

Gehen oder bleiben?
Raus oder rein?
Die Entscheidung war nicht so leicht, wie sie einem auf den ersten Blick vorkam. Mit Mühe blinzelte Aaron durch den schmalen Türspalt hinaus in den Schneesturm. Einige Tage lang ging das jetzt schon so. Die Sichtweite betrug nicht mehr als ein paar Meter, überall fiel der Schnee, kaum noch als Flocken, sondern vielmehr als eine weiße Wand wahrnehmbar, die sich fast waagerecht an ihm vorbeischob. Nur manchmal waren schwach die Umrisse des nächsten Hügels zu erkennen, zumeist sah man aber nur diffus changierendes Weiß.
Langsam wurde es kalt an den Füßen. Aaron senkte den Blick und bemerkte, dass der Schnee, der durch den schmalen Türspalt geweht worden war, einen kleinen Haufen auf seinen Füßen gebildet hatte. Ganz fein war er sogar etwa zwei Meter in den Raum hinein gestäubt. Schnell schloss er die Tür, kehrte den Schnee auf und entsorgte ihn in der Spüle. Es war ziemlich kalt in der kleinen Blockhütte. Aaron kontrollierte den Ofen und stellte fest, dass er fast ausgegangen war. Schnell legte er ein paar Scheite nach und sorgte dafür, dass sie Feuer fingen. Dann zog er sich wieder die dicke Jacke und die Stiefel über. Es war unbequem, dauernd die unförmigen Wintersachen zu tragen, aber das Brennholz war knapp und ohne dicke Kleidung ließ es sich hier drin nicht lange aushalten. Ein Grund, diesen Ort bald zu verlassen. Wenn Brennmaterial und Nahrung erst einmal alle waren, würde er hier nicht mehr lange überleben können. Die kleine Blockhütte bot Schutz vor dem Wind und der Feuchtigkeit, nicht jedoch vor der Kälte, zumindest nicht ohne funktionierenden Ofen. Er setzte sich ans Feuer.
Also aufbrechen?
Zunächst war daran nicht zu denken. Mitten im Schneesturm loszuwandern würde einem Selbstmord gleichkommen. Dort draußen wartete die Wildnis, tage-, vielleicht wochenlang würde er sich durch die menschenlose, eiskalte Einöde schlagen müssen, bis er überhaupt die Chance hatte, auf eine Siedlung zu stoßen. Es war also unwahrscheinlich genug, dass er es bei freundlicherem Wetter schaffen würde. Unter den augenblicklichen Bedingungen war es ein Ding der Unmöglichkeit.
Er würde also warten müssen. Wenn es aber so weit war, würde es gut sein, sofort aufbrechen zu können. Aaron erhob sich. Gleich zu packen kam ihm wie eine gute Idee vor. Verschwommene Vorstellungen von jederzeit bereiten Pfadfindern geisterten ihm durch den Kopf. Er war mitten in der Wildnis. Er musste bereit sein, ihr zu begegnen. Mit schnellen, aber keineswegs hastigen Schritten ging er durch den Raum und sammelte ein, was ihm würdig erschien, mitgenommen zu werden. Mehrere Wolldecken, ein Schaffell, das auf dem abgewetzten Sofa herumgelegen hatte, Utensilien, um ein Feuer zu entzünden, ein zerbeulter Kochtopf, jede Menge Trockenfleisch und die paar Orangen, die sie dabeigehabt hatten. Eine kleine Plane fand sich zusammen mit einem wirren Knäuel aus Schnüren verschiedener Länge. Nachdem Aaron noch einige Zeit damit zugebracht hatte, verschiedene Kleinigkeiten in den großen Rucksack zu packen und einige wieder herauszunehmen, wenn sie ihm doch nicht mehr so nützlich vorkamen, blieb er schließlich stehen. Das Messer. Das Messer und der Kompass. Beides würde er brauchen. Aber beides befand sich im Nebenraum. Zischend ließ er Luft durch die Lippen entweichen. Er wollte nicht da rüber. Seit er hier allein war hatte er den zweiten Raum der Blockhütte nicht mehr betreten. Er wollte nicht sehen, was sich dort befand, wollte sich nicht daran erinnern, was dort vorgefallen war.
Messer und Kompass.
Er würde sie brauchen.

Noch einmal atmete Aaron tief durch. Dann ging er hinüber zu der Tür, öffnete und trat ein.

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