„Wer bist du?“ fragt mich der alte
Mann
Ich setze zu einer Antwort an
doch plötzlich fang' ich zu denken an
Wer bin ich?
Ich weiß meinen Namen, das ist nicht
das Problem
viel schwieriger ist, drüber klar zu
sehen
ob denn dieser Name wirklich sagt, wer
ich bin
(oder was, fährt es mir hierbei kurz
durch den Sinn)
Was drückt er aus? So frage ich mich
und die Frage an sich ist zu schwierig
für mich
ich vermute, dass Namen
die wir uns einst gaben
Eigentlich keine Bedeutung haben.
Doch wer bin ich dann? Nun, zunächst
bin ich Sohn
bin ich Freund und Gefährte
für manch einen „Kollege“
bin ich Kunde und Käufer
Gruppenmitglied und -leiter
bin ich Bruder, Verwandter,
für die meisten Unbekannter
doch all das kann mir leider nichts
darüber sagen
wie ich bin, was mich ausmacht,
all diese Fragen
Will ich also Antworten finden
muss ich sie wohl anders ergründen.
Im Grunde bin ich doch nur der, der ich
bin
so ist es schön einfach, ja, so macht
es Sinn
ich bin die Gesamtheit all jener Dinge
die ich mit mir in Verbindung bringe
und welche das sind, ja, was meinst
denn du?
Ich bin jetzt mal ruh-ig, ich sag'
nichts dazu
dann kann jeder frei
nach Gusto entschei-
den, wer oder was ich für ihn wohl
sei.
Doch halt, leider bin ich nicht nur,
wer ich bin
denn dann wär' ich nur jetzt und ich
glaube ich fin-
de, ich bin auch ein bisschen, was ich
einmal war,
denn auch die Vergangenheit hat mich
geprägt.
Oder, um genau zu sein, auf die Gefahr
hier zu weit zu geh'n: sie ist das, was
mich belebt
So schöpfe ich Kraft aus dem, was ich
geseh'n
und gehört und gefühlt, dabei muss
ich gesteh'n,
dass Erfahrungen, die ich mal früher
gemacht
habe mich zu dem, was ich heut' bin
gebracht
haben und ich daher mit dem Schluss
fortfahr':
Ich bin, was ich bin – und ich bin,
was ich war!
Doch auch hier ist die Frage mitnichten
geklärt,
denn wenn man hier noch zu überlegen
fortfährt
denkt man, wenn man was war schon
bedacht hat prompt:
Bin ich nicht auch, was ich werde, was
kommt?
Na klar, ich hab es noch nicht erlebt
ich kann noch nicht sagen, wohin alles
strebt
doch wonach ICH strebe,
wofür ICH lebe
Das kann ich sagen, ich finde, das
zählt.
Denn wenn ich auch Kraft tanke aus dem
was war
So liegen die Ziele, die ich mir setze
doch stets in künftigen Zeiten, ich
schätze
das, was mich antreibt ist zukünft'ge
Gefahr
und niemals die gestrigen Schätze.
Das heißt, was ich bin ist nicht nur
was ich bin
sondern auch was ich werde und das was
ich war
was ich nächstes Jahr fühle, was ich
vorgestern sah
und was grade passiert, in mir drin.
Doch da ist noch mehr
denn von irgendwoher
hör ich stimmen behaupten, dass ich
anders wär'
denn meine Bekanntschaft,
meine ganze Verwandtschaft
kannte mich etwas anders, jeder aus
dieser Mannschaft.
Wer ich bin, wer ich war und wer ich
sein werde
sagt nichts aus über mich
denn ich weiß, eigentlich
sieht ein jeder mich anders auf dieser
Erde
und keiner sieht mich.
Ich sehe dem alten Mann in die Augen
und weiß nicht, was ich sagen soll
mein Herz ist zum Bersten voll
ich sehe ihn an, und ich kann es nicht
glauben,
da liegt er im Bett im steril-weißen
Raum
wirkt zufrieden und heiter und ich
bemerke kaum
die leichte Verwirrung, er öffnet den
Mund
neugierig-freundlich mustert er mich
und
wiederholt seine Frage:
„Wer bist du?“
ich sage
mit belegter Stimme, sie zittert schon:
Alles in Ordnung. Ich bin's, dein Sohn.
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