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Freitag, 2. Januar 2015

Kälte. Folge 9: Funkelnde Ferne

Langsam senkte sich die Nacht über die weiße Ebene. Mit einem beeindruckenden Farbenspiel verschwand die Sonne hinter dem Horizont. Ein hellblauer Streif blieb zurück, wurde schmaler und schmaler und ging schließlich in ein tiefes Blauschwarz über. Nur das Licht des Mondes erhellte noch die Erde. Aaron blieb stehen und sah sich um. Er hoffte, irgendwo in der Ferne ein Stück hellen Himmel zu sehen, wie er dort entsteht, wo in Ortschaften des Nachts viele Lichter brennen, die leuchtende Korona der Zivilisation als Wegweiser für einsame Wanderer im dichten Schnee, aber es war nichts dergleichen zu erkennen. Der Horizont blieb dunkel. Nur die Tatsache, dass der Schnee das helle Mondlicht reflektierte, war dafür verantwortlich, dass er um sich herum überhaupt etwas erkennen konnte. Auf Hügelkuppen und an den Hängen der fernen Berge fing sich das Licht im Schnee und gab der Landschaft ein fast schon magisches Aussehen. Aaron hob den Blick.
Und konnte ihn minutenlang nicht von dem lösen, was er nun sah.
In seinem bisherigen Leben hatte er schon oft den Sternenhimmel gesehen. Schon einige Male war er andächtig stehen geblieben, weil ein wolkenloser Himmel ihm einen Blick auf die Sterne gewährte, der ihm an Klarheit und Tiefe unübertrefflich schien. All dies hatte sich jedoch in der Stadt abgespielt, oder doch zumindest ganz in ihrer Nähe. In dicht besiedelten Gebieten konnte man noch so lange suchen, ja, man konnte tatsächlich den einen oder anderen Platz finden, der einem wirklich stockfinster und gleichzeitig vollkommen klar vorkam, so dass man ihn für einen idealen Ort hielt, um den Sternenhimmel zu bewundern. Was Aaron jedoch hier erblickte, ließ alles, was er bisher gesehen hatte, in seiner Erinnerung verblassen. Weit und breit gab es keinen Menschen, der störendes Licht hätte produzieren können. Fast noch schwerer wog allerdings ein Umstand, dem er bislang kaum Bedeutung beigemessen hatte, der ihm aber jetzt um so deutlicher auffiel. Es gab keine Abgaswolken. Keinen Rauch, keine Staubpartikel in der Luft. Die Dunstglocke, die die dicht besiedelten Flächen seiner Heimat stets und ständig gefangen hielt, war hier nicht vorhanden. So breitete sich über ihm ein Lichtermeer unvorstellbaren Ausmaßes aus. Fasziniert blieb Aaron stehen und tauchte ein in das regungslose Schauspiel, dieses so lebendige Standbild, das sich seinen Augen bot. Es war, als hätte irgendjemand beschlossen, den Raum um ihn herum in eine vieltausendfache Festbeleuchtung zu tauchen. Aaron stand im Schnee, viele viele Kilometer weit von jeder menschlichen Behausung, und fühlte auf einmal ganz deutlich die Weite der Welt um sich herum. Er spürte, wie der Raum zu jeder Seite offen war, dass in jeder Richtung nichts lag als die Unendlichkeit. Andächtig hielt er still, beobachtete die feinen Wölkchen, die sein Atem bildete, atmete die klare, kalte Luft, von der seine Lunge fast schon schmerzte und fühlte sich als Teil der Welt.

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