MVJstories

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Dienstag, 20. Januar 2015

Kälte. Folge 14: Kopf auf Standby...

Die nächsten Tage verbrachte Aaron in einem Zustand ständiger mentaler Erschlaffung. Sein Körper funktionierte wie automatisch, sein Geist war auf Standby geschaltet. Er nahm seine Umwelt wahr und reagierte auf sie, dachte jedoch nicht über sie nach. Ein wacher Geist will beschäftigt sein. An passenden Beschäftigungen mangelte es ihm jedoch. Also betäubte er seinen Geist, ließ sich vom steten Rhythmus seiner Schritte einlullen und verbrachte den ganzen Tag in einer Art geistiger Starre, während sein Körper mechanisch weiterlief. Erst abends, wenn er sein Nachtlager aufschlug, begann sein Verstand sich langsam wieder zu regen. Dann saß er beim Essen, sah über die weite Landschaft und dachte all die Gedanken, die den Tag nicht ausgefüllt hätten, den Abend jedoch umso wertvoller machten. Er dachte an all die Menschen, die sein Leben bis vor wenigen Tagen bestimmt und ausgefüllt hatten. An all die Orte, die er wiedersehen wollte, wenn er erst aus dieser Einöde heraus wäre. Er trauerte um Erik. Und ziemlich häufig dachte er auch über die merkwürdigen Umstände seines Hierseins nach, über die Gründe für das, was ihm passiert war.
Noch immer hatte er nicht herausfinden können, wie die Geschehnisse zusammenhingen. Was Eriks Mörder zum Beispiel mit seinem Opfer und dessen Freundin zu schaffen hatte. Warum Elisa nicht aufgetaucht war. Was überhaupt der Grund für diese Fahrt ins Nichts gewesen war.
Und am allerwichtigsten: Was er noch zu befürchten hatte.
Außerdem machte er sich dauernd Gedanken um die zweite Person, die er auf dem Schneemobil des Mörders gesehen hatte. Wer mochte das sein? Handelte es sich um eine ganze Gruppe von Leuten, mit denen Erik irgendwie Ärger bekommen hatte? Aber warum war der Zweite dann nicht mit hineingegangen, um den Job gemeinsam mit dem anderen zu erledigen? Selbst, wenn sie von Aarons Anwesenheit nichts gewusst hätten, wäre es für sie doch sicher besser gewesen, eine Überzahl zu schaffen...?
Schließlich musste sich Aaron jedes Mal eingestehen, dass das, was er wusste, einfach nicht ausreichte, um weitergehende Schlussfolgerungen zu ziehen. Es brachte nichts, sich immer wieder den Kopf darüber zu zerbrechen. Davon mehrte sich sein Wissen auch nicht. Das Einzige, was er machen konnte war, nach seiner Rückkehr, die er in seinen Gedanken als gegeben hinnahm, auch wenn er sich dessen eigentlich nicht so sicher wahr, Nachforschungen anzustellen und so herauszufinden, was es mit diesem eigenartigen Urlaub auf sich hatte. Und wo Elisa abgeblieben war.
Kam er auf diese Gedanken, was jeden Abend früher oder später passierte, so drehte er sich ein paar Mal gedanklich im Kreis, hüllte sich dann resigniert in seine Decken und ging schlafen.
Die Wanderungen, die seine Tage ausfüllten, hatten beträchtlich an Glanz, aber auch an Schrecken verloren. An die enormen Anstrengungen hatte sich Aaron nach ein paar Tagen einigermaßen gewöhnt. Nicht, dass die ganze Sache ihm jetzt Spaß gemacht hätte, aber der Muskelkater blieb bald aus und gegen die abendliche Erschöpfung half eine Nacht Schlaf.

So wenig Aaron tagsüber nachdachte, seine Fortschritte bemerkte er schon. Er war dem Wald inzwischen ziemlich nahe gekommen. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis er endlich da war, und es stimmte ihn zuversichtlich, dass er diese erste Etappe seiner Reise so gut wie geschafft hatte. Bis dahin wollte er weiterhin nach Möglichkeit jeder Gefahr aus dem Wege gehen. Er war sich bewusst, auf der weiten weißen Fläche wie auf dem Präsentierteller einherzuspazieren, meilenweit zu sehen. Daran ließ sich nichts ändern, aber soweit es in seiner Macht stand wollte er die Gesellschaft anderer Lebewesen, ausgenommen natürlich Menschen, meiden. Um Tierfährten machte er immer einen großen Bogen, selbst, wenn es sich nur um die Spuren irgendwelcher Vögel oder anderer Kleintiere handelte. Wo harmlose Tiere unterwegs sind, so dachte er sich, war der beste Platz für gefährlichere, sich auf die Lauer zu legen.

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