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Freitag, 23. Januar 2015

Kälte. Folge 15: Waldwärts

Es war ein Festtag für Aaron, als er eines Tages am frühen Nachmittag endlich den Wald erreichte. Nach so vielen Tagen der unermüdlichen Wanderung war endlich der erste Abschnitt seiner Reise bewältigt. Zwar wusste er immer noch nicht, wie weit es bis zur nächsten Ortschaft war und ob er es dahin schaffen würde, doch zumindest hatte er nun auch schon etwas, auf das er zurückschauen konnte, ein ordentliches Stück Weg, das er bereits bewältigt hatte und das somit der unüberschaubaren Strecke, die noch vor ihm lag, gegenüberstand. Natürlich konnte er keine direkten Vergleiche anstellen, da er ja nicht wusste, wie weit er noch würde gehen müssen, aber egal wie klein der Anteil der schon gelaufenen Strecke am gesamten Weg auch war, zumindest etwas geschafft zu haben machte schon ein wenig Mut und entfachte einen kleinen Funken der Hoffnung.
Als er schließlich an den ersten Bäumen ankam, beschloss er, den Rest des Tages auszuruhen. Er ließ den schweren Rucksack zu Boden fallen, kramte die Plane hervor, legte sie auf den Boden und eine Decke auf die Plane. Schließlich ließ er sich selbst auf dem soeben erstapelten Kissen nieder und seufzte. Seit dem Beginn seiner Reise war dies wohl der erste Augenblick, in dem er sich wieder richtig wohlfühlte. Das mag eigenartig klingen, da er sich ja noch immer mitten im schneebedeckten Niemandsland befand, fern von jeder Zivilisation und mit alles andere als ermutigenden Zukunftsaussichten, aber mit sich verschlechternden Verhältnissen sinken auch die Ansprüche. Nach einer wochenlangen Wanderung durch die Schneewüste war ihm die Lebensgefahr inzwischen so alltäglich, dass er sich keine Gedanken mehr darüber machte. Nur die unmittelbar drängenden Probleme verdienten eine nähere Begutachtung, die sich immer wieder ändernden Schwierigkeiten des gefahrvollen Alltags hier draußen.
So machte sich Aaron in diesem Moment keine Gedanken über die immer noch drohende Gefahr, auf dieser Reise durch Erfrieren, Hunger oder Erschöpfung eines frühzeitigen Todes zu sterben. Vielmehr freute er sich darüber, mit den Bäumen wieder klare Bezugspunkte und Begrenzungen seines Blickfelds zu haben. Die unendliche Weite der Schneelandschaft war ihm in den letzten Tagen zunehmend unangenehm geworden. Er fühlte sich ausgeliefert, nicht Herr der Lage. Aaron kam aus einer Stadt und war es gewöhnt, ständig Wände um sich herum zu haben. Jeder andere war für ihn nur ein vorübergehender Zustand, der letztlich dazu führen musste, ihn wieder anderen Wänden zuzuführen. Dieser Dauerzustand der Schutzlosigkeit, den er in den letzten Tagen erlebt hatte, gefiel ihm gar nicht.

Der Wald hingegen gab ihm ein Gefühl von Sicherheit. Er fühlte sich besser ver- und damit auch geborgen. So zweifelhaft es klingt: Aus einem Gefühl des totalen Ausgeliefertseins kommend erschien ihm der Wald wie ein schützendes Haus.

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