MVJstories

MVJstories ist ein Blog, auf dem eine kleine Gruppe junger Schriftsteller Auszüge aus ihren Werken veröffentlicht. Feedback ist ausdrücklich erwünscht. Und nun viel Spaß beim lesen!

Montag, 4. Juni 2012

...käuflich zu erwerben.


von Sir John

Drei...zwei...eins...meins!
Das ist das neue Notebook, gerade bei Ebay ersteigert. Endlich, das wurde auch Zeit. Seit der alte Computer schlappgemacht hat musste ich mich regelmäßig bei Bekannten einloggen. Nicht, dass das ein Problem wäre, aber wer seinen besten Freund besucht und feststellt, dass dieser vorsorglich die Facebook-Loginseite geladen hat, kann nicht umhin sich einzugestehen, dass die Zeit für den erneuten Schritt in die netzbezogene Selbstständigkeit gekommen ist. Bestellt und bezahlt ist eins, jetzt heißt es warten...

Zwei Wochen später melde ich mich beim Paketdienst. Laut der Online-Paketverfolgung (eingesehen bei meiner Freundin) müsste das Paket gerade ausgeliefert werden, freilich schon seit drei Tagen, was mich schließlich zu der Nachfrage veranlasst, wie lange denn eine durchschnittliche Zustelltour des nämlichen Paketdienstes (nennen wir ihn hier liebevoll „QZY“, Abkürzungen sind in diesem Gewerbe ja sehr beliebt) so dauert?
„Ihre Sendung wurde gestern ausgetragen. Sie waren leider nicht zuhause. Noch heute wird ein neuer Zustellversuch unternommen.“ verkündet eine Stimme mit dem Charme einer Standard-Mobilboxansage.
„Ich muss gleich zur Arbeit und bin bis abends weg. Morgen hätte ich aber den ganzen Tag Zeit. Könnten sie veranlassen, dass mein Paket dann ausgeliefert wird?“
Natürlich sei das möglich, versichert man mir. „Morgen bekommen Sie ihr Paket.“ Na also.

Der nächste Tag neigt sich dem Ende zu und wieder ist nichts gekommen. Ein neuerlicher Anruf soll Klarheit bringen. Nach zwanzig Minuten Warteschleifengedudel meldet sich einer der biologischen Anrufbeantworter von QZY. Auf meine Frage nach dem Verbleib meines Pakets reagiert man erstaunt. „Ihre Sendung wurde gestern Abend ausgeliefert. Da Sie erneut nicht anwesend waren, hat unser Zusteller sie bei einem Nachbarn hinterlassen. Sie müssten einen Zettel im Briefkasten haben.“
„Im Briefkasten ist kein Zettel. Bei wem wurde das Paket denn abgegeben?“
„Moment...jemand namens Müller“
„Okay, vielen Dank!“ Müller also. Langsam macht sich ein gewisser Frust breit. Inzwischen bin ich für fast alle meine Freunde nur noch der zusätzliche Internetnutzer, der ab und zu vor ihrem Computer sitzt. Einige würden sich vermutlich nicht mal mehr überrascht zeigen, wenn sie mich beim mitternächtlichen Toilettengang vor ihrem Bildschirm sitzend vorfinden würden. Ich glaube, bald werde ich als ein Stück Inneneinrichtung angesehen, eine Art Möbelstück ohne wirklichen praktischen Wert.
So weit darf es nicht kommen!
Kurz entschlossen mache ich mich auf die Suche nach dem Nachbarn Müller. Die Klingelschild-Recherche ergibt jedoch nichts. Vielleicht ein Haus weiter? Auch hier werde ich nicht fündig, ebensowenig im Laden nebenan. Nachdem auch eine nochmalige Klingelschildsuche im eigenen Haus keinen Müller hat erscheinen lassen, wende ich mich wutentbrannt wieder an die Leute von QZY, was mir allerdings keineswegs neue Erkenntnisse einbringt außer der, dass sich der Musikgeschmack der IT-Leute der Firma nicht verbessert hat. Nur das Versprechen, man werde sich beim zuständigen Boten erkundigen, kann ich der dienstfreundlichen Dame am anderen Ende der Leitung abringen.

Weitere drei Wochen, etliche Telefonate, Stunden eingängiger Warteschleifenmusik (pünktlich jeden Montag gibt es einen neuen Song) und ganze Romane abgedroschener Vertröstungsfloskeln später liegt der Fall klar. Der pflichtbewusste Mitarbeiter von QZY hat einen Zettel hinterlassen – blöderweise nicht in meinem Briefkasten sondern außen an der Haustür. Eben diesen Zettel hat scheinbar ein etwas realitäts- und konsumverbundenerer Zeitgenosse von seinem Platz entfernt, um sich selbst das Paket abzuholen. Wer dieser Mensch ist, kann natürlich keiner mehr sagen. Mir ist es auch egal. Ich überlasse das Problem jemandem anders. Vorgestern habe ich den Händler, von dem ich das gute Stück auf eBay bestellt hatte, kontaktiert. Vorhin kam das Paket mit dem neuen Notebook an, dieses Mal freilich (auf meine Bitte hin) mit einem anderen Paketdienst.

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