MVJstories

MVJstories ist ein Blog, auf dem eine kleine Gruppe junger Schriftsteller Auszüge aus ihren Werken veröffentlicht. Feedback ist ausdrücklich erwünscht. Und nun viel Spaß beim lesen!

Freitag, 28. November 2014

Michael




Von Mr. Big



Hallo, mein Name ist Michael. Heute ist der Tag, an dem ich sterbe. Absurd, ich weiß, aber manchmal ist das Leben eben so. Dabei fing der Tag wie immer an. Früh morgens klingelte mein Wecker und riss mich aus einem leichten Schlaf. Die letzten Schnipsel eines Traumes fegten noch durch meinen Kopf. So kam es, dass ich just in dem Moment bevor ich aufwachte, eine Silhouette sah. Die Fratze eines hasserfüllten Gesichtes schaute mich an. Panisch machte ich die Augen auf und die Schnipsel verflogen wie Blätter im Wind.


Als ich mich an den Frühstückstisch setzte, stürzte sogleich meine Großmutter herbei, um mich großzügig zu bedienen. Ich war den Sommer über zu ihr gezogen, weil ich das Gefühl hatte, dass sie in den letzten Jahren immer einsamer geworden war. Ich hatte beschlossen, sie für ein paar Tage zu besuchen und ihr Gesellschaft zu leisten.

Ein riesiger Teller voller Pancakes stand nun vor mir auf dem Tisch. „Na mein Kleiner, hast du schlecht geschlafen? Du siehst so blass aus?“

„Es ist nichts, Oma“, antwortete ich. „Ich glaube, ich hatte einen Albtraum.“ Sie fing an zu lachen. „Ein Junge in deinem Alter sollte sich von Albträumen nicht so mitnehmen lassen. Iss erstmal, damit du bei Kräften bleibst. Nicht das du mir vom Fleisch fällst.“

Das ist witzig, denn ich bin fast zwei Meter groß und wiege 130 Kilo. Manche bezeichnen mich als mollig, ich bevorzuge das Wort muskulös.

„Was hast du heute noch vor?“, fragte sie mich. 

„Mit Dorian treffen, rumhängen, nichts weiter.“

„Aha, so, so, na dann. Iss schnell auf und dann raus mit dir. Die Sonne scheint herrlich. Genieße den letzten Sommertag, bald fängt der Ernst des Lebens an.“

Womit sie nicht ganz Unrecht hat. Doch bevor ich in ein paar Tagen meine Ausbildung in dieser kleinen verschlafenen Stadt beginnen sollte, hatte ich mir vorgenommen, noch einmal so richtig einen Drauf zu machen. Zusammen mit meinem besten Freund Dorian.

Dorian und ich, wir sind typische Jugendliche, so typisch wie zwei Kerle in den USA halt sein können. Wir hängen gerne zusammen rum, gucken Football oder trinken Bier. Doch heute wollten wir feiern. Wir haben den High-School-Abschluss in der Tasche! An einem heißen, schwülen Tag wie diesen, gibt es einfach nichts besseres, als mit dem Auto raus an den Mississippi zu fahren und einfach die Seele baumeln zu lassen. 

„Hey, lass uns noch schnell bei diesem Shop vorbeigehen, ein paar Zigarillos holen“, sagte ich. „Kein Problem.“ meinte Dorian. „Meiner Alter will mir eh erst Nachmittag das Auto geben.“

Wenig später gingen wir rauchend die leeren Straßen der Kleinstadt entlang, ohne so recht darauf zu achten, was wir taten. Wir waren beschwipst vom Gefühl des großen Abenteuers und dem was vor uns lag.


Ein Streifenwagen tauchte neben uns auf. Es war das einzige Auto weit und breit.

„Hey, wieso lauft ihr nicht auf dem Fußgängerweg?“ fuhr uns ein weißer Polizist an.

Dorian und mir war das herzlich egal, schließlich war weit und breit kein weiteres Auto zu sehen. Ich beachtete ihn nicht weiter. Als Schwarzer in Amerika ist man es gewöhnt, von der Polizei angefaucht zu werden. Irgendetwas gibt es immer.

Der Cop ließ nicht locker „Hey, was ist falsch mit euch?“, rief er uns zu. 

Was für ein Arsch. Ich war eigentlich nicht auf Stress aus, aber irgendwas an diesem Typen passte mir gewaltig nicht. Irgendwas in seinem Blick war…abwertend.

Er schaute auf den Zigarillo in meiner Hand. „Habt ihr die geklaut? Komm mal ran hier, na mach schon!“  

Na gut, dachte ich mir, aber heute spielen wir nach meine Regeln. Ich stellte mein Bein in dem Moment vor seine Tür, als er gerade aussteigen wollte. Plötzlich war er hilflos in seinem Wagen gefangen.

 „GEH VERDAMMT NOCHMAL VON DER TÜR WEG!“ 

„Ich denk nicht dran.“ Sagte ich und lehnte mich in seinen Wagen. 

Ein Gerangel entstand. Der Kerl hielt mich an meinem Arm fest und beschimpfte mich mit allem, was er hatte. Ich merkte schnell, dass es wohl eine dumme Idee gewesen war, diesen Cop zu reizen und wollte abhauen, aber er hielt mich fest. Ich stieß ihn zurück. Er schrie mich an. 

Dann fiel ein Schuss. 

Was war bloß geschehen?

Ich schaute herab und sah, wo mich der Schuss gestreift hatte. Ein brennender Schmerz breitete sich an meiner Seite aus. Panik erfasste mich. Aus der Panik wurde Angst, die pure Angst ums Überleben.

Ich musste weg, weg, einfach nur weg von diesem Cop, diesem Auto. Wo ist Dorian, fragte ich mich. Ich rannte und rannte, aber es war zu spät. Da hörte ich bereits seine Stimme sagen. „Auf den Boden! AUF DEN BODEN!“

Mir wurde schwindelig, ich war in einer Trance zwischen Schock und Schmerz gefangen und merkte, wie das Leben leise aus mir herausfloss. Ich konnte weder vor noch zurück. Ich war in der Falle. Es blieb nur eine Chance, lebend aus dieser Sache herauszukommen. Ich drehte mich langsam um und war dabei die Hände hochzunehmen, als ich in sein Gesicht sah und dachte: Oh mein Gott. Ich kenne dieses Gesicht.

Das letzte, was ich sah, war der Abzug, der nach hinten gedrückt wurde. Ich erinnere mich noch gut an die letzte Sekunde auf dieser Erde, denn sie dehnte sich zu einer Unendlichkeit aus. Mein ganzes Leben zog an mir vorbei. Meine Eltern, Freunde, meine Kindheit, meine Schulzeit, Dorian…sie alle waren Teile eines unendlichen Moments, bevor die Lichter ausgingen und ich in ein tiefes, bodenloses Loch stürzte.


Eilmeldung

Am Dienstag haben die Geschworenen in den USA entschieden, dass der Polizist Darren Wilson, der den schwarzen Teenager Michael Brown erschoss, nicht wegen Mordes angeklagt wird. Später sagte der Polizist in einem Interview, er habe seinen Job richtig gemacht und würde wieder so handeln.



Am Ende wird alles gut, hat meine Oma immer gesagt. Und wenn es nicht gut ist, dann ist es nicht das Ende.

Ich höre auf zu fallen. Die Schwärze wird zu einem dunklen Grau, wird heller und heller bis die weiße Unendlichkeit sich vor mir ausbreitet.
 

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