Die Zukunft ist ein
verdammt anspruchsvolles Biest. Andauernd will sie meine
Aufmerksamkeit. „Du musst an deine Zukunft denken“ heißt es von
allen Seiten. Lerne einen Beruf, such dir einen Job, schließe
Versicherungen ab, spare Geld, erwirb Landbesitz, baue ein Haus...!
Und wofür? Für die Zukunft.
Dabei ist diese Zukunft
von all den Dingen, denen man sein Leben weihen kann, vielleicht das
Unwirklichste. Ich lebe nun schon seit über zwei Jahrzehnten auf
dieser Erde. Zwei Jahrzehnte, in denen wieder und wieder die Zukunft
als Ziel meiner Handlungen heraufbeschworen wurde. Zwei Jahrzehnte,
in denen ich ihr trotzdem nie begegnet bin. An die Vergangenheit kann
ich mich erinnern und soweit ich mich zurückbesinnen kann war die
Gegenwart immer für mich da, aber die Zukunft, dieses heuchlerische
Etwas, hat sich nie blicken lassen. Ich meine, sind wir denn
überhaupt sicher, dass sie existiert? Niemand hat sie gesehen,
niemand ist mit ihr umgegangen. Nur ein vages Konzept dessen, was
noch kommen wird ist uns bekannt. Natürlich könnte man einwenden,
dass es in der Natur der Zukunft liegt, nie Gegenwart zu sein, aber
mal ehrlich: Wenn etwas nie sein sondern immer nur sein werden wird,
warum sollten wir diesem Etwas dann einen so hohen Stellenwert
einräumen?
Vielleicht gibt es den
einen oder anderen Zeitreiseenthusiasten, der meint, irgendwann
müssten wir doch in der Lage sein, in die Zukunft zu reisen, wodurch
ihre Existenz bewiesen und ihre Relevanz hergestellt wäre, aber das
halte ich für unmöglich, denn wenn wir in die Zukunft reisten,
würden wir dort (oder dann) sein. Die Zukunft ist jedoch nicht die
Zeit, in der man ist, sondern die, in der man sein wird, so wie die
Vergangenheit die ist, in der man einmal war. Vielleicht ist es
dereinst mal möglich, in die Zeit der Völkerwanderung oder in die
der bemannten interstellaren Raumfahrt zu reisen, aber niemals wird
es sich dabei um eine Reise in die Vergangenheit oder Zukunft
handeln, jedenfalls nicht für den Reisenden selbst. Ankommen tut man
immer in der Gegenwart.
Die Existenz der Zukunft
ist also unbewiesen. Dennoch ist sie die Zeit, der wir die meiste
Aufmerksamkeit schenken. Manchmal verweilen wir mit unseren Gedanken
zwar in der Vergangenheit, manchmal – ganz selten – konzentrieren
wir uns auch nur auf unsere Gegenwart, aber unser Leben richten wir
nicht so aus, dass es gut ist, sondern so, dass es gut wird.
Was aber immer nur im Werden begriffen ist, ist nie. Ist es nicht
vielleicht langsam mal an der Zeit, die Gegenwart mehr zu würdigen?
Im Gegensatz zu Zukunft und Vergangenheit ist sie immer bei uns, und
das war schon immer so. Ich kann mich an keinen einzigen Augenblick
erinnern, der nicht gegenwärtig gewesen wäre. Die Gegenwart ist
verlässlich. Sie enthält sich des Werdens und Vergehens, dem
Künftiges wie Vergangenes unterworfen sind. Sie ist einfach,
ein stabiler Zustand, da das Sein an sich keine Veränderung kennt.
Ich würde also gern mehr
für die Gegenwart tun. Es will mir nur leider nicht so recht
gelingen. Wenn ich etwas tue, nimmt dieses Etwas Zeit in Anspruch.
Das heißt, dass das Ergebnis erst nach der Tätigkeit zum Tragen
kommt, in der Zukunft also. Ich kann demnach nichts für die
Gegenwart tun. Ich kann nur etwas für die Gegenwart getan haben, was
ja nicht das ist, was ich wollte. Was ich im Moment tue, ist immer
für die Zukunft.
Der Ausweg aus diesem
Dilemma ist einfach. Jede Tätigkeit orientiert sich in die Zukunft,
weil sie Veränderung bezweckt und daraus besteht. Um der Gegenwart
zu huldigen muss ich dem Zustand den Vorzug geben. Ich muss allem Tun
entsagen und mich ganz aufs Sein konzentrieren. Weg mit
Zukunftssorgen, weg mit schmerzhafter Erinnerung an Vergangenes. Was
ist ist, was zählt. Denn Sein ist nur, was noch nie gewesen ist und
auch nicht sein wird, da das Sein-Werdende ja nicht ist sondern sein
wird, bevor es gewesen sein wird, wodurch es nie das Seiende ist.
Gemäß dieser Erkenntnis werde ich von nun an nichts mehr tun,
sondern nur noch existieren, damit die Gegenwart endlich bekommt, was
sie verdient.
Und die Zukunft?
Nun, wenn mich das
nächste Mal jemand auffordert, etwas für meine Zukunft zu tun,
werde ich ihm meinen neuen Grundsatz verkünden, der da lautet:
„Solange die Zukunft
nichts für mich getan hat, tue ich auch nichts für die Zukunft.“
Fair, oder?
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen