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Dienstag, 18. November 2014

Zukunftsbeweis

Die Zukunft ist ein verdammt anspruchsvolles Biest. Andauernd will sie meine Aufmerksamkeit. „Du musst an deine Zukunft denken“ heißt es von allen Seiten. Lerne einen Beruf, such dir einen Job, schließe Versicherungen ab, spare Geld, erwirb Landbesitz, baue ein Haus...! Und wofür? Für die Zukunft.
Dabei ist diese Zukunft von all den Dingen, denen man sein Leben weihen kann, vielleicht das Unwirklichste. Ich lebe nun schon seit über zwei Jahrzehnten auf dieser Erde. Zwei Jahrzehnte, in denen wieder und wieder die Zukunft als Ziel meiner Handlungen heraufbeschworen wurde. Zwei Jahrzehnte, in denen ich ihr trotzdem nie begegnet bin. An die Vergangenheit kann ich mich erinnern und soweit ich mich zurückbesinnen kann war die Gegenwart immer für mich da, aber die Zukunft, dieses heuchlerische Etwas, hat sich nie blicken lassen. Ich meine, sind wir denn überhaupt sicher, dass sie existiert? Niemand hat sie gesehen, niemand ist mit ihr umgegangen. Nur ein vages Konzept dessen, was noch kommen wird ist uns bekannt. Natürlich könnte man einwenden, dass es in der Natur der Zukunft liegt, nie Gegenwart zu sein, aber mal ehrlich: Wenn etwas nie sein sondern immer nur sein werden wird, warum sollten wir diesem Etwas dann einen so hohen Stellenwert einräumen?
Vielleicht gibt es den einen oder anderen Zeitreiseenthusiasten, der meint, irgendwann müssten wir doch in der Lage sein, in die Zukunft zu reisen, wodurch ihre Existenz bewiesen und ihre Relevanz hergestellt wäre, aber das halte ich für unmöglich, denn wenn wir in die Zukunft reisten, würden wir dort (oder dann) sein. Die Zukunft ist jedoch nicht die Zeit, in der man ist, sondern die, in der man sein wird, so wie die Vergangenheit die ist, in der man einmal war. Vielleicht ist es dereinst mal möglich, in die Zeit der Völkerwanderung oder in die der bemannten interstellaren Raumfahrt zu reisen, aber niemals wird es sich dabei um eine Reise in die Vergangenheit oder Zukunft handeln, jedenfalls nicht für den Reisenden selbst. Ankommen tut man immer in der Gegenwart.
Die Existenz der Zukunft ist also unbewiesen. Dennoch ist sie die Zeit, der wir die meiste Aufmerksamkeit schenken. Manchmal verweilen wir mit unseren Gedanken zwar in der Vergangenheit, manchmal – ganz selten – konzentrieren wir uns auch nur auf unsere Gegenwart, aber unser Leben richten wir nicht so aus, dass es gut ist, sondern so, dass es gut wird. Was aber immer nur im Werden begriffen ist, ist nie. Ist es nicht vielleicht langsam mal an der Zeit, die Gegenwart mehr zu würdigen? Im Gegensatz zu Zukunft und Vergangenheit ist sie immer bei uns, und das war schon immer so. Ich kann mich an keinen einzigen Augenblick erinnern, der nicht gegenwärtig gewesen wäre. Die Gegenwart ist verlässlich. Sie enthält sich des Werdens und Vergehens, dem Künftiges wie Vergangenes unterworfen sind. Sie ist einfach, ein stabiler Zustand, da das Sein an sich keine Veränderung kennt.
Ich würde also gern mehr für die Gegenwart tun. Es will mir nur leider nicht so recht gelingen. Wenn ich etwas tue, nimmt dieses Etwas Zeit in Anspruch. Das heißt, dass das Ergebnis erst nach der Tätigkeit zum Tragen kommt, in der Zukunft also. Ich kann demnach nichts für die Gegenwart tun. Ich kann nur etwas für die Gegenwart getan haben, was ja nicht das ist, was ich wollte. Was ich im Moment tue, ist immer für die Zukunft.
Der Ausweg aus diesem Dilemma ist einfach. Jede Tätigkeit orientiert sich in die Zukunft, weil sie Veränderung bezweckt und daraus besteht. Um der Gegenwart zu huldigen muss ich dem Zustand den Vorzug geben. Ich muss allem Tun entsagen und mich ganz aufs Sein konzentrieren. Weg mit Zukunftssorgen, weg mit schmerzhafter Erinnerung an Vergangenes. Was ist ist, was zählt. Denn Sein ist nur, was noch nie gewesen ist und auch nicht sein wird, da das Sein-Werdende ja nicht ist sondern sein wird, bevor es gewesen sein wird, wodurch es nie das Seiende ist. Gemäß dieser Erkenntnis werde ich von nun an nichts mehr tun, sondern nur noch existieren, damit die Gegenwart endlich bekommt, was sie verdient.
Und die Zukunft?
Nun, wenn mich das nächste Mal jemand auffordert, etwas für meine Zukunft zu tun, werde ich ihm meinen neuen Grundsatz verkünden, der da lautet:

„Solange die Zukunft nichts für mich getan hat, tue ich auch nichts für die Zukunft.“
Fair, oder?

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