von Sir John
Eine
kleine Abendgesellschaft hat sich nach dem Dinner im Rauchersalon
eingefunden. Einzelne Gesprächskreise haben sich auf die Sitzgruppen
verteilt. In einer Ecke, den Blick halb dem Gesprächspartner, halb
dem Raum zugewandt, sitzen ein Zweifler und Ein Guter
Mensch auf einer Couch und unterhalten sich.
EGM: Jetzt muss ich Sie
doch noch einmal darauf ansprechen. Verzeihen Sie, aber ich fand
eine Ihrer Bemerkungen beim Essen vorhin überaus befremdlich. Sie
sprachen davon, dass... wie war das gleich... im kosmischen
Maßstab die Existenz der Menschheit nicht wichtiger sei, als die
jeder anderen Spezies. Das sagten Sie doch gewiss nur im Scherz?
Zweifler: Nun verraten
Sie mir doch bitte eins. Ist Ihnen die Menschheit wichtig?
EGM: Wie können Sie so
etwas fragen? Natürlich ist sie mir wichtig.
Zweifler: Warum?
EGM: Warum? Sie stellen
vielleicht Fragen! (zögert)
Also... ich bin ja selbst ein Mensch...
Zweifler:
Also ist „die Menschheit wichtig finden“ für Sie nur ein Alibi,
um sich selbst wichtig finden zu können?
EGM: Selbstverständlich
nicht! Es gibt viele Menschen, die mir etwas bedeuten...
Zweifler: Moment,
das ist ein Missverständnis. Ich wollte wissen, ob Ihnen die
Menschheit wichtig ist. Wovon Sie gerade sprechen sind Menschen.
EGM: (ärgerlich)
Das ist doch Wortklauberei!
Zweifler: Ich
halte es für einen gravierenden Unterschied. Lassen Sie es mich an
einem Beispiel erklären. (überlegt kurz)
Nehmen wir mal an, sie hätten … ein Ratte.
EGM: Igitt!
Zweifler: Viele
Menschen haben Ratten als Haustiere. Völlig zahme Hausratten, sauber
und gepflegt. Aber gut. Was sagen Sie zu einem Hund? Mögen Sie
Hunde?
EGM: Ja,
sehr! Als Kind wollte ich immer einen haben. Einen Rauhaardackel...
Zweifler: Nun
gut. Dann stellen Sie sich vor, sie wären stolzer
Rauhaardackelbesitzer. Das kleine Tier gehorcht aufs Wort, ist
anhänglich und verspielt. Sie kümmern sich regelmäßig um die
Fellpflege, geben dem Hund das Futter und gehen regelmäßig mit
ihm spazieren. Das kleine Fellknäuel wäre Ihr kleiner Liebling,
Ihr ganzer Stolz. Können Sie sich das vorstellen?
EGM: (verträumt)
Das kann ich mir sehr gut vorstellen.
Zweifler: Nun
gut. Jetzt lesen Sie in der Zeitung etwas, wie diese Meldung neulich,
als wieder einer dieser Kampfhunde ein kleines Kind angefallen hat.
Wie finden Sie das? Und vor allem: Was denken Sie über den Hund?
EGM: Ich
fand es schon immer unerhört, dass solche Viecher ohne Maulkorb
herumlaufen! Die gehören eingeschläfert und die Besitzer streng
überwacht. Das ist doch gemeingefährlich, sich so ein Tier
überhaupt erst zuzulegen.
Zweifler: Und
wie ist es mit all den Hunden, die irgendwo herumstreunen, aus
Mülltonnen fressen, sich gegenseitig totbeißen und so weiter?
Verlauste stinkende Köter?
EGM: Naja,
die können ja nichts dafür...
Zweifler: (unterbricht)
Würden Sie einen aufnehmen?
EGM: Nein,
das... nein, ich... ich glaube nicht...
Zweifler: Aha.
Und wenn ich Sie jetzt noch einmal frage, ob Sie Hunde mögen, bleibt
Ihre Antwort die selbe?
EGM: Ich...
Nun ja, ich mag manche
Hunde.
Zweifler: Und
das sind ausschließlich welche, die Sie kennen. Den Großteil der
weltweit vorhandenen Hunde kennen Sie aber nicht und selbst unter
denen, bei denen das doch der Fall ist dürfte es welche geben, die
Ihnen mit ihrem Gebell auf die Nerven fallen oder vor denen Sie
Angst haben, weil sie Ihnen eine Nummer zu aggressiv sind. Ähnlich
ist es auch bei den Menschen.
EGM: Moment
mal! Ich hab nicht gesagt, dass ich Angst vor Menschen habe.
Zweifler: Nein,
aber wenn Sie genau über sich nachdenken wird Ihnen auffallen, dass
es nur einige wenige Menschen gibt, die Ihnen wirklich etwas
bedeuten. Die meisten sind Ihnen eigentlich egal.
EGM: Das
können Sie so nicht sagen.
Zweifler: Nicht?
Mal ganz ehrlich, was geht Ihnen so durch den Kopf, wenn Sie im
Fernsehen einen Bericht über hungernde Südamerikaner oder
arbeitslose Asiaten lesen?
EGM: Naja,
ich denke, man sollte helfen, nicht tatenlos zusehen...
Zweifler: Und?
Machen sie das? Natürlich nicht, genausowenig wie der größte Teil
der restlichen Zuschauer des betreffenden Programms. Und warum
nicht?
EGM: Man
hat ja auch immer noch andere Dinge...
Zweifler: (unterbricht)
Unsinn! Es gibt nichts, was sie
davon abhalten könnte, zu helfen, wenn Ihnen wirklich etwas daran
läge. Man soll nicht tatenlos zusehen? Ihnen wäre es doch viel
lieber, gar nicht zu- sondern möglichst ganz woandershin zu schauen
und sich um ihren eigenen Kram zu kümmern. Wenn Sie dann doch mal
im Fernsehen auf so einen Bericht stoßen, ertappen Sie sich
dabei, dass Sie insgeheim froh sind, dass es Ihnen vergleichsweise
gut geht und kriegen ein schlechtes Gewissen, weil Sie gelernt
haben, dass man beim Anblick des Leids anderer verdammt nochmal
Betroffenheit zu zeigen hat, statt sich wohlzufühlen. Sie aber
sind nicht betroffen. Sie fühlen
sich auch nicht betroffen und das werfen Sie sich innerlich mehr
vor, als die Tatsache, dass Sie den armen Leuten auf der
Mattscheibe nicht mal zu helfen versuchen. Dieses schlechte
Gewissen lässt sich nicht durch Taten beseitigen, weil es sich
nicht auf Taten bezieht. Also schwelgen Sie weiterhin in
Bequemlichkeit und Ihrem als Mitgefühl getarnten Selbstmitleid.
EGM: Aber
ich wollte doch nur...
Zweifler: Derweil
sind Ihnen die Menschen, die da in Hunger und Armut leben, völlig
egal. Sie bedeuten Ihnen nichts. Wie auch? Sie hatten niemals die
Möglichkeit, eine emotionale Bindung zu ihnen aufzubauen. Die
Leute, zu denen Sie eine solche Bindung haben, werden immer nur
einen winzigen Bruchteil der Erdbevölkerung ausmachen. Man kann
also mit Fug und Recht behaupten, dass Ihnen die Menschheit,
diese unselbstständige, tumbe Masse, als Ganzes sonstwo vorbeigeht.
Was Sie wichtig finden sind Sie selbst und einige Personen, die Ihr
leben und damit Ihr ach-so-wichtiges Ich entscheidend prägen. Und
wissen Sie was? Ich gratuliere Ihnen zu dieser Einstellung. Ich
gratuliere Ihnen von ganzem Herzen, denn mehr als alles andere sagt
mir das: Sie sind ein Mensch.
(beide schweigen; nach
langer Pause)
EGM: Möglicherweise
haben Sie Recht. Aber will ich dann überhaupt noch ein Mensch
sein?
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