Erwachen
Von Mr. Big
Schwere
und Dunkelheit umgaben ihn. Ein leises Pochen war zu hören, dumpf und
nichtssagend. Klänge aus einer weitentfernten Sphäre, aus einer anderen Welt.
Viel zu weit weg, um irgendeine Bedeutung zu haben.
Das
gellend heiße Licht, das er zuletzt gesehen hatte, war wie ein illuminierter Fleck
auf seine Netzhaut eingebrannt worden. Er konnte immer noch die Umrisse
erkennen, und die Ausläufer dieses spinnennetzartigen Gebildes. Sie waren nicht
sehr klar erkennbar, eher wie dunkle Risse auf einer schwarzen Granitplatte.
Mehr noch wie eine in sich zusammengezogene Galaxie voller sterbender Sterne. All
das lag vor ihm. Sonst sah er nichts. Auch Gefühle drangen nicht mehr bis zu
ihm vor.
Das
unaufhörliche Pochen war irritierend. Dann waren da diese Schwingungen, die von
dem Fleck ausgingen. Er war gefangen in ihrem Rhythmus. Im Rhythmus der
Schwingungen und des Pochens.
War
es ein ihm bekannter Rhythmus? Irgendwie schon. Sagte zumindest sein Empfinden.
Doch empfand er gerade überhaupt? Schwer zu sagen. Irgendwann aber war dieser
Rhythmus wichtig für ihn gewesen. Er war so schön gleichmäßig und ruhig. Dieses Poch…poch…poch…es ließ ihn entspannen.
Man hätte ein Uhrwerk danach
stellen können. Aber dafür hätte man ein Uhrwerk gebraucht und hier war
nirgendwo eins zu sehen. Hier war überhaupt nichts zu sehen. Nur dieser Fleck,
der Schatten eines Schattens, immer stetiger verblassend vor dem Hintergrund
einer undurchdringlichen Schwärze. Nein, er wollte nicht mehr hier sein. Es war
ihm unangenehm. Er wollte hinaus.
Eine
Welle erhob sich. Ein elektrischer Impuls durchzog ihn und formte kleine Blitze
auf seiner Netzhaut. Der Moment kam näher. Das Pochen beschleunigte sich
rasant. Poch,poch,poch. Was vorher nur eine Taktgabe der Natur gewesen war,
lief jetzt wie ein Motor auf Höchstleistung. Schneller, immer schneller, als
drohe es jeden Moment zu explodieren.
Dann
öffnete sich die Galaxie und gab einen Strahl gleißenden Lichts frei. Alles um
ihn herum füllte sich mit Licht. Nur mit Mühe erlangte er sein Bewusstsein zurück.
Er erwachte zum Leben. Durch einen Schleier schienen seine Augen nun die Einöde
zu betrachten, die vor ihm lag. Dahinter kamen langsam Konturen zum Vorschein. Wände
und Kacheln, grau und kalt. Ein Lagerraum. Wo war er bloß hineingeraten…
Als
Adrian erwachte, wusste er nicht so recht, wo er war. Alles hier erschien ihm
so fremd, aber zugleich auch so vertraut. Was er verschwommen durch seine Augen
wahrnehmen konnte, erinnerte ihn an einen Ort, an dem Funktionalität
großgeschrieben wurde. An der Wand hingen Pfannen und Töpfe. Daneben waren
Messer und Klingen zu sehen, von der Länge her eher Urwald- anstatt Esswerkzeuge. Gut ein Dutzend konnte
er zählen. Direkt vor ihm, in unmittelbarer Nähe, war ein Waschbecken
angebracht. Darunter befanden sich Regale mit Tellern. Links von ihm war eine
äußerst massiv wirkende Tür. Noch ganz benommen versuchte er, einem rein
menschlichen Impuls folgend, aufzustehen und wurde mit Nachdruck davon
abgehalten. Kaum einen Zentimeter konnte er sich bewegen. Er war an einen Stuhl
gefesselt, der im Boden verankert war.
„Was
zum…“. Adrian schaute hinab. Dieser Stuhl, Typ IKEA – Wohnst du noch oder
folterst du schon?, war sein Thron und
sein Gefängnis zugleich. Er versuchte die Hände zu bewegen, aber erkannte im
gleichen Moment, dass sie taub waren, gefesselt an den Armlehnen. Na toll, ganz
toll. Mit Erstaunen stellte er aber fest, dass die Füße frei waren. Nur die
Schnürsenkel waren verknotet. Scheinbar war hier ein Witzbold am Werk gewesen.
Was
war bloß passiert…an was konnte er sich noch erinnern? Er war auf Arbeit
gewesen, ja. In einem Lagerraum wie dieser hier. Und er wollte etwas aus dem
Schrank holen, als…
Er
schrak zurück, das Bild erschien vor seinem inneren Auge. Die grobschlächtige
Hand, die in seinem Sichtfeld erschien, von hinten nach ihm griff und ihm ein Tuch
ins Gesicht drückte, erbarmungslos und unnachgiebig. Ihm wurde sofort schwindelig.
Dann war alles schwarz. Und ab da alle Erinnerungen verschwunden.
Nun
saß er hier, auf seinem Stuhl. Fast wie ein Paket, verschnürt und fertig zum
Weitertransport. Nächste Station: Haus des Horrors. Aktueller Standort: Kammer
des Schreckens. Yppie ya yeah Schweinebacke. Sein Gemüt schwankte zwischen
Hysterie und Heulerei. Doch vielleicht ließ sich ja was machen.
Die
Tür, der einzige Ausweg aus diesem Schlammassel, schien massiv und war
höchstwahrscheinlich verschlossen. Die Klingen, die vor seinem Kopf baumelten,
versprühten auch nicht gerade den Charme, der ihn zum Bleiben bewegte. Dennoch
eine nette Küchendekoration, so unter anderem Umständen…
Er
überlegte. Komm schon, Adrian, was würde James Bond tun? Das Waschbecken lag
ein Stück weit hinter den Pfannen. Und die Messer wären eindeutig in
Reichweite, würde er nicht auf diesem dummen Stuhl festhocken.
Hm,
vielleicht wenn er...okay ein bisschen riskant, aber dennoch im Bereich des
Möglichen. Zwar wär das auch für Hollywood neu, aber wann ausprobieren, wenn
nicht jetzt?
Er
begann behutsam seine Straßenschuhe auszuziehen. Ein gar nicht so einfaches
Unterfangen, wenn man leicht benommen ist und in Fesseln liegt. Aber nach einer
Weile war es geschafft. Die Schuhe lagen auf den Fließen.
Ganz
still saß er nun da. Seine Aufmerksamkeit lag voll und ganz auf seinen Füßen. Sie
umschlangen den Knoten der beiden Schnürsenkel und wippten hin und her. Genau
einen Versuch hatte er. Er musste sich lang machen. Dann holte er tief Luft.
Mit
einem Mal drückte er die Beine durch und schwang die Schuhe nach oben. In hohem
Bogen flogen die Treter durch die Luft und vollführten eine Pirouette. Die
Sohle erwischte das Steakmesser und beförderte es aus der Verankerung.
Adrian
schreckte auf. Das Ding sauste in Richtung seiner Genitalien. Instinktiv machte
er die Beine breit. Das Messer drang knapp unterhalb der Kronjuwelen mit seiner
rostfreien Spitze in den Stuhl. Eine Schweißperle glitt ihm von der Stirn. Das
war knapp. Um Haaresbreite hätte er seiner Freundin erklären müssen, wieso er „nur
kuscheln“ jetzt doch gut findet.
Ein
lautes Scheppern. Die Schuhe hatten eine Pfanne erwischt. Sie schlug auf den
Fließen auf und sprang unbeholfen herum. Scheiße, jetzt musste er sich beeilen.
Er schnippte mit seinem Fuß das Steakmesser vom Stuhl. Dann entledigte er sich seiner Socken und umklammerte den Schaft mit seinen Zehen. „Und eins, und
zwei, und…“. Sehr ladylike schlug er die Beine übereinander und begann an den
Fesseln seiner linken Hand zu sägen. Was für ein dickes Hanfseil. In der Ferne
ertönten fremde Stimmen.
Oh
nein, nein. NEIN. Panik machte sich breit. Er sägte schneller. Seine Atmung
beschleunigte sich immer mehr. Hinter der Tür hörte er Schritte.
Die
erste Hand war frei. Doch sie hing zur Seite wie ein totes Stück Fleisch. Gänzlich
ohne Gefühl, doch sie musste! Keuchend schwang er sie nach vorn. „Komm schon,
du musst das Seil lösen. KOMM SCHON.“ Das Blut begann zäh und unerträglich
langsam zu fließen, gefolgt von vielen kleinen Nadelstichen.
Es
kam näher. Jemand machte sich an der Türverriegelung zu schaffen. Sein
Peiniger! Mit dem Mut der Verzweiflung und befreite er seine Hand von der
Schlinge und sprang vom Stuhl auf. Im nächsten Moment glitt die Tür zur Seite
und ein Mann trat ein. Von der Statur ein echter Bulle. Es gab kein
Vorbeikommen. Er hielt einen Dönerspieß in der Hand, der eindeutig länger war
als sein Steakmesser und sah Adrian fest in die Augen.
„Setz
dich und halt die Klappe. Und keine Faxen.“
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