von Sir John
Sehr geehrte
Damen und Herren. Wir unterbrechen unser Programm für eine
sensationelle Sondermeldung. Soeben erreicht uns eine Nachricht aus
Baltimore, Maryland in den USA. Ärzte des örtlichen Krankenhauses
haben es geschafft, die weltweit erste gelungene
Seelentransplantation durchzuführen. Der Chefarzt Dr. Moreland gab
vor einer halben Stunde den erfolgreichen Abschluss der äußerst
komplizierten Operation bekannt. Der Patient sei wohlauf und habe
bereits mit der Rehabilitation begonnen. Die vollständige Genesung
wird etwa einen Monat in Anspruch nehmen.
Experimente
mit Selentransplantationen finden bereits seit 1996 statt.
Ursprünglich entsprang die Idee der Prozedur der Hoffnung
mittelständischer Wählergruppen, allgemein als herz- und seelenlos
bezeichneten Vertretern der gehobenen wirtschaftlichen und
politischen Kreise wieder zu mehr Menschlichkeit zu verhelfen.
Inzwischen haben jedoch auch die Konzerne selbst die
Marketingwirksamkeit humaner Vorstände erkannt und treiben die
Entwicklung von sich aus voran.
Ihren
bisherigen Höhepunkt fanden die Versuche 2007 bei der
Transplantation der Seele einer Putzfrau in den Körper des
seelenlosen Chefs eines weltweit agierenden Lebensmittelkonzerns.
Nach der Operation ließen sich tatsächlich menschliche Züge an dem
vorher als hartherzig und gefühllos beschriebenen Mann feststellen.
Menschliche Schwächen, wie etwa ein Putzfimmel, fanden sich genauso
wie eine außerordentlich gewachsene Fähigkeit, den eigenen Gefühlen
in persönlichen Gesprächen wortreich Ausdruck zu verleihen. Auch
fing der ansonsten eher zur Sparsamkeit – manch einer sagte sogar
zum Geiz – neigende Herr auf einmal an, größere Summen an
Hilfswerke für arbeitslose Reinigungskräfte zu spenden. Ob das
allerdings an seiner Putzfrauenseele oder einem Vertrag mit der
Seelenspenderin lag ist nicht bekannt.
Nach einigen
Monaten stellten sich jedoch Komplikationen ein. Der Versuchskandidat
geriet immer öfter in einen Zwiespalt zwischen seinen Absichten als
Geschäftsmann und denen als Putzfrau. Schließlich fand man ihn in
seinem Büro, wo er sich in einem Wischeimer ertränkt hatte.
Der neue
Versuch in Baltimore beinhaltete daher ein mehrwöchiges Training zur
Vorbereitung. Auch wurde dieses Mal darauf geachtet, dass die
Geschlechter von Körper und Seele übereinstimmen.
Die
Chirurgen, die die Operation durchgeführt haben, äußern sich
voller Begeisterung über die gelungene Verpflanzung. Dr. Moreland
sprach von einem „Meilenstein für die Menschlichkeit in der
Gesellschaft.“
Doch nicht
jeder ist so euphorisch. Kritiker befürchten eine Zunahme der
Kriminalität im Zusammenhang mit illegal beschafften Spenderseelen.
Besonders wird befürchtet, dass in Dritte-Welt-Ländern mehr und
mehr Menschen umgebracht werden, um an ihre wertvollen Seelen zu
kommen und sich ein regelrechter Schwarzmarkt entwickelt, ähnlich
wie bei anderen Organen.
Weiterhin
stellten Menschenrechtsorganisationen die Frage nach dem Zustand der
in den Versuchen verwendeten Spender, die ja nun ohne Seele auskommen
müssen. Dr. Morelands Stellungnahme hierzu: „Um das psychische
Wohl unserer Spender brauchen wir uns ja nicht mehr zu kümmern, da
sie soetwas nicht mehr kennen, aber für das physische Wohl ist
bestens gesorgt. Jeder von ihnen, ganz gleich, wer er ist oder woher
er stammt, wird nach der Entnahme sauber vernäht und an die
Abteilung ,Nachbereitung' übergeben. Gewöhnlich legen sie keinen
Wert auf ein Fortbestehen nach Zweckerfüllung. Der Spender unseres
jüngsten Erfolgsprojekts beispielsweise, ein Obdachloser hier aus
Baltimore, wurde bereits recycelt.“
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