MVJstories

MVJstories ist ein Blog, auf dem eine kleine Gruppe junger Schriftsteller Auszüge aus ihren Werken veröffentlicht. Feedback ist ausdrücklich erwünscht. Und nun viel Spaß beim lesen!

Freitag, 31. Mai 2013

Hoffnung für Seelenlose

von Sir John

Sehr geehrte Damen und Herren. Wir unterbrechen unser Programm für eine sensationelle Sondermeldung. Soeben erreicht uns eine Nachricht aus Baltimore, Maryland in den USA. Ärzte des örtlichen Krankenhauses haben es geschafft, die weltweit erste gelungene Seelentransplantation durchzuführen. Der Chefarzt Dr. Moreland gab vor einer halben Stunde den erfolgreichen Abschluss der äußerst komplizierten Operation bekannt. Der Patient sei wohlauf und habe bereits mit der Rehabilitation begonnen. Die vollständige Genesung wird etwa einen Monat in Anspruch nehmen.

Experimente mit Selentransplantationen finden bereits seit 1996 statt. Ursprünglich entsprang die Idee der Prozedur der Hoffnung mittelständischer Wählergruppen, allgemein als herz- und seelenlos bezeichneten Vertretern der gehobenen wirtschaftlichen und politischen Kreise wieder zu mehr Menschlichkeit zu verhelfen. Inzwischen haben jedoch auch die Konzerne selbst die Marketingwirksamkeit humaner Vorstände erkannt und treiben die Entwicklung von sich aus voran.
Ihren bisherigen Höhepunkt fanden die Versuche 2007 bei der Transplantation der Seele einer Putzfrau in den Körper des seelenlosen Chefs eines weltweit agierenden Lebensmittelkonzerns. Nach der Operation ließen sich tatsächlich menschliche Züge an dem vorher als hartherzig und gefühllos beschriebenen Mann feststellen. Menschliche Schwächen, wie etwa ein Putzfimmel, fanden sich genauso wie eine außerordentlich gewachsene Fähigkeit, den eigenen Gefühlen in persönlichen Gesprächen wortreich Ausdruck zu verleihen. Auch fing der ansonsten eher zur Sparsamkeit – manch einer sagte sogar zum Geiz – neigende Herr auf einmal an, größere Summen an Hilfswerke für arbeitslose Reinigungskräfte zu spenden. Ob das allerdings an seiner Putzfrauenseele oder einem Vertrag mit der Seelenspenderin lag ist nicht bekannt.
Nach einigen Monaten stellten sich jedoch Komplikationen ein. Der Versuchskandidat geriet immer öfter in einen Zwiespalt zwischen seinen Absichten als Geschäftsmann und denen als Putzfrau. Schließlich fand man ihn in seinem Büro, wo er sich in einem Wischeimer ertränkt hatte.

Der neue Versuch in Baltimore beinhaltete daher ein mehrwöchiges Training zur Vorbereitung. Auch wurde dieses Mal darauf geachtet, dass die Geschlechter von Körper und Seele übereinstimmen.
Die Chirurgen, die die Operation durchgeführt haben, äußern sich voller Begeisterung über die gelungene Verpflanzung. Dr. Moreland sprach von einem „Meilenstein für die Menschlichkeit in der Gesellschaft.“
Doch nicht jeder ist so euphorisch. Kritiker befürchten eine Zunahme der Kriminalität im Zusammenhang mit illegal beschafften Spenderseelen. Besonders wird befürchtet, dass in Dritte-Welt-Ländern mehr und mehr Menschen umgebracht werden, um an ihre wertvollen Seelen zu kommen und sich ein regelrechter Schwarzmarkt entwickelt, ähnlich wie bei anderen Organen.

Weiterhin stellten Menschenrechtsorganisationen die Frage nach dem Zustand der in den Versuchen verwendeten Spender, die ja nun ohne Seele auskommen müssen. Dr. Morelands Stellungnahme hierzu: „Um das psychische Wohl unserer Spender brauchen wir uns ja nicht mehr zu kümmern, da sie soetwas nicht mehr kennen, aber für das physische Wohl ist bestens gesorgt. Jeder von ihnen, ganz gleich, wer er ist oder woher er stammt, wird nach der Entnahme sauber vernäht und an die Abteilung ,Nachbereitung' übergeben. Gewöhnlich legen sie keinen Wert auf ein Fortbestehen nach Zweckerfüllung. Der Spender unseres jüngsten Erfolgsprojekts beispielsweise, ein Obdachloser hier aus Baltimore, wurde bereits recycelt.“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen