Als der erste Tag der zweiten
Etappe seiner Wanderung sich dem Ende zuneigte, konnte Aaron den Wald
in der Ferne nur noch als grünes Band erkennen. Er war natürlich
bei Weitem noch nicht so weit vom Wald entfernt, wie bei seinem
Aufbruch aus der Blockhütte, von wo aus er den Wald ja auch schon
hatte sehen können, aber wenn seine Schätzung ungefähr stimmte,
hatte er bestimmt fast dreimal so viel Wegstrecke hinter sich
gebracht, wie an einem durchschnittlichen Tag am Anfang der
Wanderung. Erschöpft aber zufrieden ließ er sich schließlich,
nachdem er sich wie üblich ein Lager zusammenimprovisiert hatte, auf
selbigem nieder, löste die Schnüre, die die Schneereifen an seinen
Füßen hielten, und überprüfte seine Gehhilfen auf Schäden und
Abnutzung.
Es stellte sich heraus, dass
die Rahmen selbst – ganz wie erwartet – relativ unbeschädigt
geblieben waren. Das Netz aus Schnüren hingegen, dass er dazwischen
geknüpft hatte, zeigte deutlichen Abrieb. Besonders die Stellen, an
denen die Schnur um den Rahmen gelegt war, wiesen sichtbare Schäden
auf. Dagegen sah es dort, wo sein Schuh die Schnüre berührt hatte,
etwas besser aus. Kurz überlegte er, warum das so war, fand nicht
gleich einen Grund und verwarf schließlich die Frage, da sie ihn
nicht weiterbrachte. Stattdessen dachte er darüber nach, ob er die
Schneereifen gleich neu spannen sollte, um am nächsten Tag nicht
mitten in der Wanderung davon aufgehalten zu werden? Er entschied
sich dagegen. So verlockend es war, am nächsten Tag wieder eine
Stecke wie die heutige zurückzulegen, er besaß nicht genug Schnur,
um verschwenderisch damit umgehen zu können. Insgesamt würde er
mehr Strecke mit den Schneereifen zurücklegen können, wenn er jedes
Bisschen Schnur bis zum Zerreißen nutzte.
Schließlich aß er von dem
Trockenfleisch, das ihm inzwischen so zuwider war, dass er es nur
noch herunterbekam, wenn er zwischendurch immer wieder mit Schnee
oder Wasser nachspülte, und kauerte sich schließlich auf seinem
Nachtlager zusammen. Kein Geräusch sang ihn in den Schlaf, aber er
hatte sich an die Stille gewöhnt.
In dieser Nacht hatte er einen
Traum. Einen sehr eindrücklichen sogar. Er befand sich wieder bei
der Blockhütte, in der sein Abenteuer seinen Anfang genommen hatte.
Rundherum tobte ein Schneesturm, und so ging Aaron hinein. Als er
jedoch den Hauptraum betrat, fiel sein Blick auf die Tür zum
Nebenraum und er erinnerte sich plötzlich, dass da drüben noch
Eriks Leiche liegen musste. Schon wollte er die Hütte panisch wieder
verlassen, doch dann bezwang er sich und beschloss, dem alten Freund
einen letzten Besuch abzustatten. War er überhaupt noch da?
Vielleicht war der Mörder wieder dagewesen, oder einer seiner
Komplizen, und hatte den toten Körper beseitigt, die Spuren
verwischt...
Als Aaron die Tür zum
Nebenraum öffnete, ging eine seltsame Wandlung mit ihm vor. Er
spürte, dass er größer wurde, kräftiger und wilder. Die Hand, mit
der er die Türklinke ergriffen hatte, war breit und schwielig, die
andere aber hielt etwas, was er in der Kürze der Zeit nicht ganz
erfassen konnte. Schließlich trat er in den Raum. Vor sich sah er
Erik, der sich an die gegenüberliegende Wand drückte. Dann hob er
den Arm – in der Hand hielt er eine Pistole. Er richtete sie auf
Erik...
Was? Nein! Erik war einer
seiner besten Freunde. Überall wollte er dieses schreckliche Ding
hinhalten, nur nicht auf diesen Menschen. Panisch versuchte er, die
Kontrolle über seinen Arm zurückzugewinnen, die Pistole fallen zu
lassen, irgendetwas, aber da war etwas in ihm, etwas, das in
unbändiger Wut entflammt war, das verletzen, ja töten wollte, weil
ihm etwas weggenommen worden war. Der dort hatte ihm etwas
weggenommen... Etwas so kostbares... Was ihm genommen worden war?
Er drückte ab.
Im Moment, da sein Finger den
Abzug betätigte, hörte er hinter sich einen Laut. Er wollte
herumschnellen, doch spürte er schon, wie ihm etwas scharfes,
spitzes tief in den Rücken getrieben wurde. Er spürte, wie das
Leben aus ihm wich, gleich darauf wurde ihm auch bewusst, wie der
Traum sich langsam verflüchtigte. Schon halb im erwachen hörte er
noch ein paar letzte Worte, die Worte seines Mörders, der Mörderin,
wie er jetzt an der Stimme erkannte:
„Das habe ich nur für dich
getan...“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen