von Sir John
Poch.
Poch.
Poch...
Ich fühle mich schwach. Nicht mehr
lange, und meine Zeit hier ist vorbei, das spüre ich. Nur mühsam
schlägt mein Herz noch, hält mich am Leben, gerade noch.
Poch.
Poch.
Ich habe schon längere Zeit darauf
gewartet. Es war klar, dass es mit mir zu Ende geht. Jetzt ist es so
weit. Immer langsamer schlägt mein Herz, fließt mein Blut.
Poch.
Poch.
Poch.
Und bleibt endlich stehen. Mein Körper
kommt zur Ruhe, schläft ein. Er wird nie wieder erwachen. Mein Geist
öffnet sich dem, was kommen wird, löst sich von der nunmehr
leblosen Molekülstruktur, die viele Jahre lang ein Teil dessen war,
worüber ich mich identifiziert habe. Mein Selbst, so stelle ich
fest, ist nicht dieser Körper.
Was ist mein selbst?
Wer bin ich?
Auf einmal ein blendendes Licht.
Empfindungen strömen auf mich ein. Nicht gekannte, nie geahnte Arten
von Wahrnehmung. Die Bewusstwerdung des Unterbewussten. In den Tagen
meiner Körperlichkeit stehts als dumpfes Hintergrundrauschen
vernommen, gedämpft vom Fleisch, das meinen Geist gefangen hielt.
Wer bin ich? Eine Frage, die hier nicht mehr gestellt zu werden
braucht, da die Antwort auf der Hand liegt. Ich bin die Gesamtheit
dessen, was ich nun über mich weiß. Ein Gebilde aus alldem, was mir
mein räumlich ausgedehntes Leben hindurch klar war und den
vielfältigen Dingen, die ich nun mit einem Schlag über mich
begreife. Ich weiß es. Jeder weiß es. Wer bin ich, wer bist du –
wo ist der Unterschied? Ich bin nicht ich, um ich zu sein, ein
Individuum, gefesselt durch die Grenzen eines Körpers, getrennt auch
von allen anderen. Ich bin ich – und ich bin wir! Eine große
Gesamtheit, ein Sein, nicht bestimmt durch Zeit, da Zeit wiederum
bestimmt wird durch Vergänglichkeit, Verschleiß...aber was sollte
verschleißen, an einem Ort, an dem es keine Körper gibt?
An einem Ort? Ist dies ein Ort? Wenn
ja, wo liegt er? Es gibt keine Ausdehnung, keine Richtung. Jede
Ausdehnung hat einen körperlichen Aspekt. Sie kann sich verändern,
verformen, doch eine körperliche Veränderung ist immer auch eine
Art Verfall. Sie benötigt die Existenz wahrnehmbarer Zeit – und
schafft diese, denn was ist die Zeit anderes, als wahrgenommene
Veränderung?
Nicht das Werden ist bestimmend,
sondern das Sein. Daher gibt es auch keine Sprache, keine
Kommunikation. Gedankenaustausch funktioniert nur mit einem Vorher-
und einem Nachherzustand. Ich weiß etwas, du nicht. Ich teile dir
etwas mit. Jetzt weißt du es auch. Du kannst das Betreffende nicht
gleichzeitig wissen und nicht wissen, also ist Zeit vergangen.
„Hier“ ist es anders. Keine Zeit
vergeht, jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne, nichts verändert
sich, wir sind. Da wir alle eigentlich ein „Ich“ sind, ist
sowieso jeder Informationsaustausch überflüssig.
Was wohl aus meinem Körper geworden
ist? Ob es auch einen ähnlichen „Ort“ gibt, an dem es nur Körper
gibt, die keinen Geist haben, statt, wie hier, Geister ohne Körper?
Eine Welt, in der alles nur als ausgedehnter Vorgang funktioniert,
ein Ort der absoluten Vergänglichkeit, bevölkert von seelenlosen
Zombies, die völlig automatisch ihren jeweiligen Beschäftigungen
nachgehen, ohne je darüber nachzudenken, ohne von mehr als Reflexen
und Instinkten gesteuert zu sein? Wenn, dann ist dies kein Ort, an
dem ich sein möchte.
Obwohl seine Bewohner nicht direkt
unzufrieden sein können. Kein seelischer Schmerz, keine Langeweile,
keine Sehnsucht nach einem Leben mit Seele. Einfach überhaupt
nichts. Existiert ein solcher Ort? Existiert ein Ort, wenn niemand
ihn bewusst zur Kenntnis nimmt?
Doch andererseits: Existiere ich, hier
in dieser großen Gemeinsamkeit, in diesem Kollektiv, wo es keine
Individuen mehr gibt? Bin ich noch? Oder sind wir? Kann ich
sein, indem wir sind? Und habe ich mich mit diesen Gedanken nicht
schon entfernt von großen Ganzen? Bin ich auf dem Weg, das große
„Wir“ zu verlassen? Wohin?
Ja, ich löse mich langsam. Immer mehr
empfinde ich mich als ein Ich,
beginne, über mein persönliches Schicksal nachzudenken. Ich war
schon einmal allein, soviel ist mir klar. Ich bin irgendwann im „Wir“
angekommen. Doch wo kam ich her? Wie war es da? Die Erinnerungen sind
verblasst. Konnte ich mich erinnern, als ich angekommen bin? Ich weiß
es nicht mehr. War ich überhaupt schon, bevor ich hier war? Oder bin
ich hier entstanden, als Einzelner zunächst, aber sofort im Begriff,
in der großen Gemeinschaft aufzugehen?
Ein
Schmerz, ungekannt, nicht von dieser Welt. Ich, eingeengt, gefangen.
Beendet, die Freiheit des Geistes, die Zeitlosigkeit. Gedämpfte
Geräusche teilen die Zeit in Abschnitte, bezeichnen die Marken des
Verfalls, der Veränderung. Wer bin ich? Ich kann es nicht sagen. Ein
Teil von mir ist das, was ich schon immer war, so scheint es mir,
aber ein anderer Teil ist neu, von anderer Art. Langsam begreife ich,
dass dieser Ort anders funktioniert, als der, an dem ich war. Zeit
vergeht, Dinge verändern sich, in der Zeit...und im Raum.
Es
gibt also Ausdehnung hier. Ein körperlicher Ort. Alles hat eine
Form, Materie, mehrere Richtungen. Bin ich hier auch ausgedehnt? Kann
ich mich vielleicht sogar bewegen, Veränderung herbeiführen? Ja, es
geht! Zwar noch nicht uneingeschränkt zielgerichtet, aber ich habe
eine Veränderung bewirkt. Ein erster Schritt in einer neuen Welt.
Zeit
ist vergangen. Ich habe es gespürt, habe regelmäßige Geräusche
vernommen, nacheinander. Neu, diese Aufeinanderfolge der Dinge, aber
nach einiger zeit schon nicht mehr fremd. Nur die Einschränkung
meines Geistes stört mich. Es ist eng. Es wäre in jedem Körper
eng, unendlich eingezwängt im Vergleich zu den Verhältnissen dort,
wo ich herkomme. Werde ich dorthin zurückkehren? Wieder eingehen ins
große „Wir“? Ich weiß es nicht. Etwas fehlt mir. Wer bin ich?
Licht!
Grell, unangenehm, eine neue Art der Wahrnehmung, bisher kaum
erforscht, weil sinnlos und eintönig, jetzt blendend und
schmerzhaft. Außerdem Laute, viel direkter als zuvor, schneidend und
uneinladend. Dieses hohe, quietschende Geräusch, was ist das? Kommt
das von mir? Warum? Was bewegt sich da so schnell? Alles ist so
aufgeregt, erneut bin ich hinausgeworfen aus einer mir inzwischen
vertrauten Welt, hinein in ein verwirrendes Chaos. Ich versuche,
etwas zu verändern, aber mein Körper funktioniert hier draußen
anders, ruckartiger. Etwas bewegt sich. Habe ich das verändert? Oder
sind da noch andere Räumliche? Ein neuer Schmerz, ein neues Gefühl.
Eine
neue Welt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen