Von Mr. Big
II
Johanna nimmt neben mir auf dem Sofa
Platz. Etwas verlegen starten wir beide in die Konversation:
„Und wie geht’s dir?“
Oh man, was frage ich da eigentlich?
Ihr geht es blendend. Sie ist charmant und intelligent. Ihr liegt die Welt zu
Füßen.
„Gut, gut.“, antwortet sie.
„Hast du denn gut hergefunden?“
„Naja fast. Und bei dir?“
„Alles gut soweit.“
Die großen rhetorischen Ergüsse
bleiben noch aus. Allerdings verschafft mir der Smalltalk etwas Zeit, mir
gedanklich durch die Haare zu fahren. Sie ist einfach nur Wow. Lange,
dunkelbraune Haare, braune, lebhafte Augen. Beine die sagen, hey, schau dir die
Mal an. Um ihren Hals ist ein seidenes Tuch gespannt, das zum Rest farblich
abgestimmt ist. Diese Frau hat eindeutig Stil. Während ich versuche, ein
Götzenbild von ihr in meinen Neuronenspeicher zu brennen, platzt es plötzlich
aus ihr heraus:
„Es tut mir sooo leid, dass ich mich verspätet
habe! Ich weiß auch nicht, was da heute los war. Ich bin rechtzeitig
aufgebrochen, dann kam die Bahn ewig nicht, dann bin ich am Café vorbeigelaufen
und musste einen Passanten nach dem Weg fragen…“
Ihre Entschuldigung ist wie Balsam für
die Seele. Ich möchte mich in ihre Worte hineinsetzen und damit einreiben und…
„…deswegen war das mit der Hausarbeit
so wichtig, weißt du?“
Moment, welche Hausarbeit, was habe
ich verpasst?
„Ähm, öh, ähm…“
So ein Mist, einmal kurz nicht
aufgepasst und schon den Anschluss verpasst. Okay, jetzt elegant das Thema
wechseln, ohne zu gezwungen zu wirken. Ich schaue mich um…was ist in greifbarer
Nähe …die Kerze, die Servietten…die Speisekarte! Mein Rettungsanker. Meine
Du-kommst-aus-dem-Gefängnis-frei-Karte.
„Alsoooo…weißt du schon, was du bestellen
möchtest? Ich hab hier mal die…“
„Ich weiß es schon, ich nehme einen
Chai Latte.“
Okay, soviel dazu. Noch immer schwebt
das ominöse Thema Hausarbeit in der Luft und ich habe keine Ahnung, was ich
darauf erwidern soll. Mein Blick erspäht die Theke, die jetzt auf wundersame
Weise zu meinem knallroten Rettungsboot wird.
„Lust auf ein Stück Kuchen? Da vorne
scheint es ein paar Stücke zu geben“
„Klar, gerne.“
In der anfänglichen Hektik hat sie
ganz vergessen ihren Schal abzunehmen. Ich sehe zu, wie ein glänzender Anhänger
zum Vorschein kommt. Mir bleibt keine Zeit, genaue Details zu erfassen, denn
wir sind schon auf dem Weg zu Theke.
„Moin, was darf’s denn für EUCH sein?“ fragt
sodann die Verkäuferin in perfekter Hamburger Mundart. Die bewusste Überbetonung
des Wortes „Euch“ führt dazu, dass Johanna und ich uns verlegen anschauen und
meine Haut förmlich akupunktiert wird von diesen Worten. Na toll, und in solch
einer Situation sollst du als Mann eine Auswahl zu treffen. Ein kniffliges
Unterfangen… viele Kuchen- und Tortenstücke…alles nicht wirklich etwas
Besonderes. Es vergehen einige Sekunden der Ratlosigkeit, bis die Verkäuferin
die Situation erkennt und eingreift.
„Wir haben auch noch ein ganz
besonderes Stück auf Lager, das wird euch gefallen, einen Moment“
Sie verschwindet kurz ins Hinterzimmer
und ein paar Sekunden später strahlt uns ein vierschichtiges Kuchenwunder von
einem silbernen Tablett aus an. Schoko, Vanille, Blaubeere und Nuss. Damit kann
man einfach nicht falsch liegen.
„Das nehmen wir“, sage ich, „und dazu
noch zwei Gabeln, bitte!“
Zurück an unserem Platz sitzen wir uns
erwartungsvoll gegenüber. Der Smalltalk ist vorbei. Jetzt wird der andere auf
Herz und Nieren geprüft. Wer macht den ersten Zug? Ist es der Mann, der von
Natur aus grobschlächtigere Geselle, unkultiviert und roh, wird er mit seiner
Gabel die wundervoll angehäufte Verführung zerstören oder doch der Dame den
ersten Zug überlassen? Ich suche ihren Blick. Sie bringt die Gabel in Position,
geht ein Stück nach vorne und zögert dann kurz.
„Willst du zuerst, oder ich?“
Ha, die Falle habe ich kommen sehen.
„Nein, nimm du ruhig. Ladies first.“
Badaabum. Falle entschärft. Ich
betrachte Johanna, wie sie mit ihrer Gabel den Kuchen aufrichtet, langsam, fast
schon schüchtern in die erste Kuchenschicht eintaucht, dort kurz verweilt und
dann die erste Schicht abtrennt.
„ Der ist sooo köstlich.“
„Das kann ich mir vorstellen. Ich
teste mal die nächste Schicht.“
Während wir so vor uns hin essen und
die Zeit genießen, denke ich über den Kuchen nach und seine vierschichtige
Instanz, durch die ich Johanna kennenlerne. Wie Indiana Jones hangele ich mich
durch Kuchen und Konversation und bringe dabei so einiges zum Vorschein.
In der ersten Schicht, der Schokolade,
entdecke ich ihre Liebe für Süßes, für Weißwein und gute Musik. Etwas tiefer
geht es in der zweiten Schicht. Hier bemerke ich Verspieltheit, Ehrlichkeit und
Lebensfreude. Die dritte Schicht, die Blaubeeren, imponieren mir. Ihr kesses
Auftreten lässt mich darauf schließen, dass ich lieber keine Spielchen mit ihr
spielen sollte. In der finalen Schicht, der harten Nussschicht, ist es anders.
Diese letzte Kuchenschicht ist der
eine Moment im Universum, den du selbst definieren kannst. Nichts ist
festgelegt. Es gibt nur mich, sie und das Café. Die Gabel ist unser Stift, mit
dem wir die ersten Zeilen unserer Geschichte schreiben. Der Teller sind die
Seiten für das Meisterwerk. So fange ich an mit meiner Gabel die vermeintliche
Zukunft zu skizzieren, anzudeuten, abzuwägen. Wir beginnen ein Kennenlernen auf
Kuchenebene. Happen für Happen. Schnitt für Schnitt.
Fortsetzung folgt morgen...
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