Neulich
bin ich kurz aufgewacht.
Ich rieb mir den Schlafsand aus den Augen und schaute mich um, war noch nicht ganz da. Lange hatte ich geschlafen und geträumt, so lange, dass ich mich in der realen Welt erst einmal zurechtfinden musste. Verschlafen stand ich auf, ging in die Küche und machte mir Frühstück. Währenddessen lief der Fernseher und verbreitete Informationen, die niemanden interessierten. Scheinbar nicht mal die Frau, die sie vorlas. Verwundert sah ich sie mir einen Moment lang an. Wie man Nachrichten derart unbeteiligt und emotionslos vortragen konnte, war mir ein Rätsel.
Ich rieb mir den Schlafsand aus den Augen und schaute mich um, war noch nicht ganz da. Lange hatte ich geschlafen und geträumt, so lange, dass ich mich in der realen Welt erst einmal zurechtfinden musste. Verschlafen stand ich auf, ging in die Küche und machte mir Frühstück. Währenddessen lief der Fernseher und verbreitete Informationen, die niemanden interessierten. Scheinbar nicht mal die Frau, die sie vorlas. Verwundert sah ich sie mir einen Moment lang an. Wie man Nachrichten derart unbeteiligt und emotionslos vortragen konnte, war mir ein Rätsel.
Ein
paar Minuten später war ich soweit und brach auf in Richtung Uni.
Ich wohnte ganz in der Nähe, den Weg konnte ich zu Fuß gehen, mit
Zwischenstopp beim nächsten Bäcker, weil ich doch in der ersten
Vorlesung immer noch einmal Hunger bekam. Ein kleines Glöckchen
kündigte bimmelnd meine Ankunft an.
„Was
darf es denn sein?“ fragte mich die Verkäuferin.
Ich
sah mir die Auslage an und zählte auf, was ich brauchte. Als die
kleine dicke Frau hinter dem Tresen mir die Tüte mit meinen
Einkäufen überreichte, schaute ich ihr ins Gesicht, einen Dank auf
den Lippen.
Leer.
Die
Augen waren wie zwei Bergwerksstollen, tief, unergründlich, aber
vollkommen leer. Ich schrak zurück und stolperte fast über meine
eigenen Füße. Was stimmte hier nicht? Abermals sah ich die Frau an.
Rein physisch waren ihre Augen ganz normal. Aber dennoch...
irgendetwas fehlte. Irgendetwas, das diesen Haufen Zellen zu einem
menschlichen Wesen gemacht hätte. Was war hier los? Hastig blickte
ich mich in dem Raum um, in dem noch ein paar heruntergekommene
Gestalten ein billiges Frühstück zu sich nahmen. Von ihnen schien
keiner etwas mitbekommen zu haben. Erneut musterte ich die Frau. Für
mich war es so deutlich, dass bei ihr etwas nicht mit rechten Dingen
zuging. Warum konnte das sonst keiner sehen? Es sei denn...
Ich
ging zu einer der abgehalfterten Figuren, die stumm über ihrem
Papp-Kaffeebecher brüteten. Interessiert setzte ich mich ihm
gegenüber und schaute ihm in die Augen. Die selbe Leere.
Ich
stand wieder auf und stürmte aus dem Bäckerladen. Die Leute dort
drinnen waren irgendwie krank, so viel war klar. Etwas hatte ihnen
das genommen, was sie zum Menschen gemacht hatte, wie auch immer das
vor sich gegangen sein mochte. Ich musste unbedingt jemanden
veranlassen, ihnen zu helfen!
Atemlos
rannte ich auf einen Passanten zu und griff ihn am Ärmel.
„Schnell,
dort drinnen sitzen mehrere Leute, mit denen irgendetwas nicht
stimmt. Sie können sich bewegen, aber sie sitzen nur apathisch da
und auch die Bäckerin ist irgendwie seltsam, so unmenschlich...“
Ich
merkte, dass ich nicht sonderlich gut erklärte. Ich hätte mir wohl
vorher zurechtlegen sollen, was ich sagen würde. Gerade wollte ich
einen neuen Anlauf unternehmen, da drehte sich der Mann, dessen Ärmel
ich noch immer gefasst hielt, endlich zu mir um und sah mir in die
Augen. Sofort ließ ich ihn los.
Leere
Augen.
„Ich
bitte Sie, ich glaube, Sie sind etwas verwirrt. Beruhigen Sie sich
erst einmal.“
Ungläubig
starrte ich ihn an. Er hatte tatsächlich zu mir gesprochen. Trotzdem
fehlte auch ihm jener... Glanz in den Augen, der einen davon
überzeugt, es mit einem bewusst handelnden Wesen zu tun zu haben.
Ja, das war es! Auch die Bäckerin hatte ja ihre Arbeit ganz normal
verrichtet und auch mit mir gesprochen. Sie schien es nur nicht aus
eigenem Antrieb zu tun, sondern wie automatisiert. Der Mann war
inzwischen weitergegangen und auch ich setzte mich wieder in
Bewegung. Auf meinem Weg in Richtung Universität schaute ich in
verschiedenen Läden vorbei. Überall war es das gleiche. Die Leute
verrichteten ihre Aufgaben ganz gewissenhaft, aber keiner von ihnen
schien auch nur wahrzunehmen, was er tat.
Endlich
angekommen stürmte ich in den Hörsaal. Wie erwartet stand der
Professor vorne und erläuterte einen komplizierten Sachverhalt,
während Reihe um Reihe geduldiger Studenten dasaßen und ihren Blick
auf ihn gerichtet hatten. Ich ging von Reihe zu Reihe und sah ihnen
in die Augen.
Nichts.
Absolut
nichts. Mir war sofort klar, dass hier niemand wirklich etwas
aufnahm. Es war, als hätte jemand, der von einem anderen Stern
gekommen war, ein Abbild von der Welt erstellt, und dabei versucht,
nur durch flüchtige Beobachtungen ihre grundlegenden Mechaniken zu
verstehen. Alle machten genau das, was sie sonst auch machten, nur
dass sie es taten, ohne sich dessen bewusst zu sein, ohne
Auseinandersetzung mit der Welt, ohne Wahrnehmung, Reflexion,
Abwägung verschiedener Möglichkeiten... Sie alle lebten nicht mehr.
Sie funktionierten.
Ich
verließ die Universität und ging durch die Stadt. Auch die Leute,
die frei zu haben schienen und einfach die Straße
entlangschlenderten waren Teil der großen Maschine, die immer weiter
lief und lief, ohne einen Sinn zu haben und ohne dass auch nur jemand
nach Sinn oder Unsinn des Ganzen fragte. Schließlich legte ich mich
in einem Park auf eine Wiese und sah in den Himmel. Ringsum saßen
Menschen auf Picknickdecken und führten automatisiert genau die
Unterhaltungen, die auch sonst an einem Platz wie diesem zu hören
gewesen sein würden. Nur dass hier im Moment keiner etwas damit
verband. Wie hatte es so weit kommen können? Was war mit dieser Welt
passiert? Mit diesen Gedanken im Kopf schlief ich endlich wieder ein.
Ich
träumte, ich sei hier in meinem Zimmer, diese Geschichte schon
eingetippt. Sofort machte ich mich auf die Suche nach anderen
Menschen, ging hinaus auf die Straße und sprach fremde Leute an, sah
ihnen tief in die Augen, um herauszufinden, ob auch sie so seelenlos,
gefühllos seien, wie die, die ich vor dem Einschlafen gesehen hatte,
aber mit den Menschen hier scheint alles in Ordnung zu sein.
Inzwischen
weiß ich Bescheid. Ich habe lange darüber nachgedacht und habe
endlich die Wahrheit verstanden. Diese ganze Welt ist nur ein Traum
von mir. Auch ihr werdet nur von mir geträumt. Von der echten Welt
habe ich bisher nicht mehr gesehen, als das, was ich neulich in
meiner kurzen wachen Phase beobachten konnte. Ich lebe nicht in der
Realität. Aber das ist mir egal. Zum ersten Mal bin ich kurz
aufgewacht, habe einen flüchtigen Blick auf die Realität werfen
können, und dabei gelernt, sie zu fürchten. Ich will nicht wieder
aufwachen. Die Realität ist nicht das, was ich will. Sie ist
vielleicht wirklicher, aber sie ist nicht die Wirklichkeit meiner
Wahl. Vielleicht, wenn ich sie lange genug ablehne, wird sie eines
Tages weniger wirklich werden und mein Traum wird das sein, was
zählt. Möglicherweise ist es sogar schon so. Ist eine Wirklichkeit
wirklich, wenn keiner an sie glaubt? Ich will nicht an sie glauben,
ich weigere mich. Ich bin nicht für die Realität geschaffen.
Nur für einen Traum.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen